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Ton Steine Scherben mit Gymmick

Ton Steine Scherben

Ton Steine Scherben
Ton Steine Scherben

Biografie

Die TON STEINE SCHERBEN Story

„Wir wollten nicht nach oben, wir wollten Oben und Unten abschaffen!“

 

„Sau- sau-, saubillig“ klingt es einem seit Wochen in den Ohren. Die Werbung eines Elektronikmarktes mit der Melodie von Rio Reisers Hit König Von Deutschland ist nicht nur saunervig, sie ruft auch viele Hüter der political correctness auf die Plan. Hat doch eben jener Sänger Anfang der 70er Jahre mit der Band Ton Steine Scherben noch Parolen ausgegeben wie Macht Kaputt, Was Euch Kaputt Macht oder Keine Macht Für Niemand. Die Scherben waren die deutschen Anarcho-Rocker schlechthin, aber sie haben sich in den 15 Jahren ihrer wechselvollen Geschichte von der reinen Agitrockband zu einer vielschichtigeren, später gar mystischen Truppe weiterentwickelt.

 

Ende April 1986 auf einem Flohmarkt in Hannover: Zwischen all den gestylten, hässlichen 80er Jahre LPs kommt ein dicker, weißer Wellpappkarton zum Vorschein, hier und da ist er schon ein wenig angegammelt, aber die Aufschrift ist eine Verlockung: Keine Macht für Niemand und weiter unten: Ton Steine Scherben. Das Vinyl sieht ok aus, der Verkäufer lässt sich auf vergleichsweise läppische 11,- DM runterhandeln und der Käufer - der natürlich der Autor dieser Zeilen ist - weiß genau: Diese Doppel-LP muss es sein! Längst war er – unter dem Deckmantel einer evangelischen Jugendgruppe in diesen so friedensbewegten Zeiten – von einigen Mitgliedern einer sehr wilden Kommune agitiert worden.  Was sie über Bakunin, Proudhon und Kropotkin referierten, war einleuchtend und überzeugender, als was Jusos, SDAJ, DFU und andere, die sich für links hielten, im Angebot hatten. Ganz zu schweigen von den christlichen Friedenstauben- Trägern, den Wollsocken-Ökos und Lila-Windeln-um-den-Hals-Trägern – die waren nicht nur dogmatisch, moralisch und so bodenlos unerotisch, auch ihre Musik von Hannes Wader bis Ina Deter war einfach grauenvoll. Die Anarchos waren unorthodox – nicht nur in ihrer Theorie – und sie bespielten einem, wenn man Glück hatte, Cassetten mit ihrem Soundtrack zum Widerstand: Ton Steine Scherben. Das klang kämpferisch und romantisch, direkt und mysteriös, politisch und sexy. Dass die revolutionärsten Stücke bereits über 15 Jahre alt waren, die Band sich gar 1985 aufgelöst hatte und ihr Sänger schon bald als Popstar Karriere machen sollte, interessierte nicht. Wir waren jung und brauchten die Revolution!

 

Wenige Tage nach diesem Glückskauf – das Objekt meiner Liebe ist inzwischen in absolut desolatem Zustand noch immer in seinem Besitz – gibt es im ukrainischen Tschernobyl eine kleine technische Panne mit den bekannten Folgen, was sicher nicht in einem kausalem Zusammenhang zur Musik steht, aber was beim Hören von Songs wie Wir Müssen Hier Raus oder Die Letzte Schlacht Gewinnen Wir noch einmal klar werden lässt: Die Welt muss verändert werden und zwar radikal. Dazu kommt, dass Rio Reiser, der Ex-Sänger der Scherben, just zu dieser Zeit mit seinem Hit König von Deutschland aus jedem Radio tönt. Gründe genug, um herauszufinden, wie dieses ganze Geschichte eigentlich angefangen hatte.

 

 

Exit Hendrix, Auftritt Ton Steine Scherben

 

Am 6. September 1970 geben Ton Steine Scherben ihr erstes Konzert bei einem Open Air Festival auf Fehmarn. Das Wetter ist katastrophal und die Organisation erst recht. Genau genommen waren auch nicht Ton Steine Scherben eingeladen worden – die hatten gerade die ersten 1000 Stück ihrer in Eigenregie veröffentlichten Debüt-Single vom Presswerk bekommen und so kannte sie logischerweise noch keiner zu diesem Zeitpunkt – sondern die Theatergruppe Rote Steine. Durch deren Auftritt könnte die ganze Veranstaltung steuerlich günstiger abgewickelt werden. Vor Ort haben die Theaterleute aber keine Lust mehr zu spielen und da Ton Steine Scherben sowieso die Musik zu ihren Stücken beisteuern, spielen diese dann eben allein – zum ersten Mal gleich vor rund 50.000 Leuten (manche Quellen sprechen auch von 100.000).

 

Die Roten Steine hatten sich aus dem Hoffmann Comic Teater (absichtlich ohne „h“ geschrieben) entwickelt, zu dessen Stamm die Geschwister Gert und Peter Möbius gehören. Ihr jüngster Bruder Ralph, der am 9. Januar 1950 in Berlin geboren wurde, und sich offiziell erst ab 1978 Rio Reiser nennt, hatte schon mehrfach mit den politischen Theatergruppen zusammengearbeitet. Er steuerte Musik und Texte zu diversen Stücken bei und komponierte mit Robinson 2000 bereits 1967 so etwas wie eine erste deutsche Beat-Oper, der allerdings kein großer Erfolg beschieden war.

 

Die Truppe von 28 (!) Leuten, die sich aus Berlin auf nach Fehmarn zum „Festival der Liebe“ (Mitveranstalterin war die deutsche Porno-Queen Beate Uhse) macht, ist ein bunter Haufen, was vor allem daran liegt, dass sich die Roten Steine als Lehrlingstheater versteht, das gezielt proletarische Jugendliche ansprechen will. Es geht vor allem darum, diese Zielgruppe zum improvisierten Mitspiel zu motivieren, um ihnen so ihre Lage politisch bewusst zu machen. Wer Talent, Interesse oder einfach Spaß daran hat, der bleibt einfach dabei und fährt mit. Auch die Musiker, die zur ersten Scherben-Besetzung gehören, sind zuvor alle bei Hoffmann Comic Teater (HCT) aktiv gewesen. Neben Sänger Rio Reiser, der auch Gitarre und Klavier spielt, sind das der Gitarrist R.P.S. Lanrue (bürgerlich: Ralph Peter Seitz, geboren am 14. Januar 1950 in Grenoble), Bassist Kai Sichtermann (*1951) und als Schlagzeuger Wolfgang Seidel, mit 21 Jahren nicht nur der älteste in der Band, sondern nach damaliger Gesetzeslage auch der einzige Volljährige. Darüber hinaus hatte man außer den Instrumenten noch ein Stromaggregat und eine Druckmaschine, die bei der Kommune 1 übrig gewesen war, eingeladen. In der Regel wird diese Maschine genutzt, um Raubdrucke von Büchern herzustellen, was für eine ganze Reihe der Beteiligten den Broterwerb sicherstellt. (Fairerweise sollte man aber erwähnen, dass nicht aktuelle Bestseller, sondern in der Regel nicht mehr verfügbare theoretische Klassiker gebootlegt werden!) Auf der Ostseeinsel sollte die betagte Maschine Agitationszwecken dienen. Die Band spielt also einen Set von drei Songs und Rio fordert dazu auf, den Veranstalter „ungespitzt in den Boden zu hauen“. Dieser hatte sich nämlich inzwischen mit den Eintrittsgeldern aus dem Staub gemacht, so dass viele angekündigte Bands gar nicht mehr auftreten. Am Vorabend hatte Jimi Hendrix allerdings noch ein letztes Mal gespielt – zwölf Tage später ist er tot. Als die Scherben nach ihrem Auftritt die Flucht ergreifen, kommt ihnen die Feuerwehr entgegen – das Publikum hat ihren Song Macht Kaputt Was Euch Kaputt Macht offensichtlich so interpretiert, dass die Bühne auf jeden Fall abgefackelt gehört. So etwas bezeichnet man wohl als bestandene Feuertaufe.

 

 

Musik ist eine Waffe

 

Neben den beiden Songs der ersten Single Macht Kaputt Was Euch Kaputt Macht und Wir Streiken spielen die Scherben außerdem ihr Lied Solidarität, das schon in einer frühen Version aufgenommen, aber noch gänzlich unveröffentlicht ist. Viele der frühen Scherben-Songs sind direkt aus den vorhergehenden Theater-Produktionen entnommen. So stammt Macht Kaputt Was Euch Kaputt Macht aus einem Stück namens Rita & Paul vom HCT. Die Herkunft des Titel-Slogan ist ungeklärt, Ensemble-Mitglied Norbert Krause hatte ihn aufgeschnappt. Den Rest des Textes schreibt Rio, der sich dabei von Bob Dylans Subterreanean Homesick Blues inspirieren lässt. Allerdings finden sich – auch recht frei übersetzt – keine entsprechenden Zeilen bei Dylan, es ist wohl eher die reduzierte, stichwortartige Form, mit der die Wörter aneinandergereiht werden. In diesem frühen Stadium ist der Song noch ein wenig langsamer gesungen als später, der Aufbau um das charakteristische Riff aber nahezu identisch. Für das erste Album entscheidet man sich später für eine neu eingespielte Liveaufnahme, bei der der Song direkt in das Einheitsfrontlied von Bertolt Brecht und Hannes Eisler („Und weil der Mensch ein Mensch ist...) übergeht, das die Scherben in den ersten Jahren häufig als Zugabe spielen. Obwohl Rio Reiser mit dem Text recht frei umspringt (aus „Essen“ wird „Fressen“, aus „Arbeiter“ „Arbeiterklasse“ usw...) ist diese Version die bis heute (ein)drucksvollste dieses Kampflied-Klassikers. Seltsamerweise wird aber in ausnahmslos allen LP- und CD-Credits konsequent verschwiegen, dass man sich diesen Teil von Brecht „borgte“. Die B-Seite der Single  Wir Streiken erschien erstaunlicherweise auf keiner Scherben-LP, sondern wird erst auf den Compilations Auswahl I und Was Bleibt wiederveröffentlicht, obwohl ein klassischer Kampfsong, der dem Selbstverständnis der Agitrockband inhaltlich wie formal perfekt steht.

 

Mit dem Begriff Agitrock finden Ton Steine Scherben ein Attribut, das sie zutreffend charakterisiert. Der Bandname - dem in der Entstehung zunächst noch ein VEB vorangestellt war, von dem man sich aber schnell verabschiedete – geht auf den Archäologen Heinrich Schliemann zurück, der Troja ausgrub. Auf die Frage, was er gefunden hatte, soll er „Ton, Steine, Scherben“ geantwortet haben, andererseits ist eine Anlehnung an den markanten Gewerkschaftsnamen Bau-Steine-Erden unübersehbar. Agitrock aber ist die konsequente Weiterentwicklung der Begriffe Agitprop (Agitation und Propaganda), das häufig als Agitpop, also populär und somit das Gegenteil von konsum- und gesellschaftskritisch missverstanden wird, und Acidrock. Die Waffe der Scherben aber ist Rockmusik und über deren politische Wirksamkeit verfassen sie ein Manifest, das den unmissverständlichen Titel Musik Ist Eine Waffe trägt. Dort heißt es unter anderem:

„Musik kann zur gemeinsamen Waffe werden, wenn du auf der Seite der Leute stehst, für die du Musik machst! (...)

Musik kann also zur Waffe werden, wenn du mit ihr die Ursachen deiner Aggressionen erkennst. Wir wollen, dass du deine Wut nicht verinnerlichst, dass du dir darüber klar wirst, woher deine Unzufriedenheit und deine Verzweiflung kommen. Wir wollen die Feinde des Volkes nennen. ‚Macht kaputt, was euch kaputt macht – zerstört das System, das euch zerstört!’ Unsere Musik soll ein Gefühl der Stärke vermitteln.

Unser Publikum sind Leute unserer Generation: Lehrlinge, Rocker, Jungarbeiter, ‚Kriminelle’, Leute in und aus Heimen. Von ihrer Situation handeln unsere Songs.

Lieder sind zum Mitsingen da.

Ein Lied hat Schlagkraft, wenn es viele Leute singen können. Unsere Lieder sind einfach, damit viele sie mitsingen können. Wir brauchen keine Ästhetik, unsere Ästhetik ist die politische Effektivität. Unser Publikum ist der Maßstab, nicht irgendwelche ausgeflippten Dichter. Von unserem Publikum haben wir gelernt, Lieder zu machen, nur von ihnen können wir in Zukunft lernen, Lieder für das Volk zu schreiben. Wir sind in keiner Partei und in keiner Fraktion. Wir unterstützen jede Aktion, die dem Klassenkampf dient. Egal, von welcher Gruppe, sie geplant ist. (...)“ (nach Sichtermann, S. 41ff.)

 

Wolfgang Seidel schreibt: „Wir wollten nicht nach oben. Wir konnten das gar nicht wollen, denn wir waren angetreten, mit unserer Musik dazu beizutragen, dass es kein Oben und Unten mehr geben würde“ (Seidel, S. 27) Aus diesem Ansatz spricht natürlich der Aufbruchsgeist einer Zeit, in der viele überzeugt waren, die westdeutsche Arbeiterschaft sei zu einer revolutionären Masse agitierbar. Auch die sich formierende RAF oder Bewegung 2. Juni, die nicht Musik sondern reale Waffen gebrauchen, finden ihren Ausgangspunkt in der Überzeugung, die Bevölkerung würde ihr Ausgebeutetsein erkennen und sich mit den Kämpfern gegen den Staat solidarisieren. Wir wissen, wie diese Geschichte verlief, aber die Konflikte, die damit einhergehen, sind für die Bandgeschichte von Ton Steine Scherben von Anfang an maßgeblich und wahrscheinlich für viele Dilemma, in die die Band immer wieder gerät, entscheidend. Die Auseinandersetzung mit dem Staat, der mittels Haussuchungen, Telefonüberwachung, Beschlagname der harmlosesten Gegenständen (Spielzeug-Wurfschleudern oder Autowerkzeug, das angeblich Einbruchsgerät sein soll) und anderer Schikanen präsent ist, nimmt niemals wirklich bedrohliche Züge an. Die Scherben haben zu kämpfen, jeder Auftritt in der Bundesrepublik ist mit endlosen Zollkontrollen beim Transit durch die DDR verbunden – anfangs durch die ost-, später vornehmlich durch die westdeutschen Zöllner. Ab und zu findet ein sehr aufmerksamer Beamter eine unerhebliche Menge Drogen oder etwas, dass man ohne Bezahlung aus einem Supermarkt mitgenommen hatte. Rio Reiser beschreibt in seiner Autobiographie, wie er stets seinen Personalausweis mit auf sein Hochbett nimmt – und Übernachtungsbesuch nahe legt, dasselbe zu tun. So kann er dem ungebetenen, uniformierten Überraschungsgast, der nicht wissend, was ihn oben erwartet, wenn er bei einer der regelmäßigen Razzien die Leiter zum Bett hoch geschickt wird, beschwichtigen. Einer Strafverfolgung im eigentlichen Sinn aber sind die Bandmitglieder nie ausgesetzt, teils vielleicht aus Geschick und Glück, teils aber auch, weil sie sich eben immer zuerst als musizierendes Kollektiv und nicht als kriegerische Einheit sehen.

 

 

Ein Millionär namens David Volksmund

 

Mit ihrem Manifest haben sie sich aber in eine ganz andere, fatalere Zwickmühle begeben. Sie haben sich ja offen angeboten, für jede Aktion und jede Gruppierung im Klassenkampf zur Verfügung zu stehen. Die Folgen sind nicht nur, dass sie auf unzähligen Benefizveranstaltungen spielen „müssen“, sondern auch, dass sie dafür nicht bezahlt werden -  es dient ja der gerechten Sache! Diese Band ist aufgrund ihres einzigartigen Status unter wirtschaftlichen Aspekten ein absolutes Bankrottunternehmen. Auftritte sind mit Kosten verbunden, die selten gedeckt werden. In der linken Szene ist man der Meinung, dass eine Band, die ihre Ziele so klar formuliert hatte, keine Gage bekommen müsse. Überhaupt zahlt man nur sehr widerwillig Eintrittsgeld für Konzerte, häufig werden einfach die Eingänge gestürmt und man lässt sich umsonst beschallen. Statt 3,50 etwa 5,- DM Eintrittsgeld zu fordern, kommt einer Konterevolution gleich. Dass die Musiker über lange Jahre oft nicht mal genügend Geld haben, um sich etwas zu essen zu kaufen, interessiert keinen. Sobald Ton Steine Scherben versuchen, halbwegs kostendeckend zu spielen, sind die Rufe von Verrat und Abgehobenheit groß. Umso tragischer, dass die Band in späteren Jahren, als sie sich endlich aus dem Teufelskreis von politischen Anspruch und Wirklichkeit freizuschwimmen scheint, dann wirklich an unrealistischen Kalkulationen zu Grunde geht. Zur Zeit Anfang der 70er Jahre sind diese Vorwürfe allerdings völlig haltlos und man versucht das Minus, das die Konzerte einbringen, durch Plattenverkäufe zu kompensieren. Denn ein Plattenvertrag bei der Industrie steht natürlich nicht zur Debatte – man ist sein eigenes Label und Vertrieb zugleich. Durch die Raubdrucke bestehen gute Kontakte zu linken Buchläden und über diese Wege werden zunächst auch die Schallplatten an die Frau und den Mann gebracht, bevor man später federführend bei der Gründung der ersten unabhängigen Musikvertriebe in Deutschland (April, Schneeball, EFA, Indigo) mitwirkt. Es wäre auch fraglich, ob eine der renommierten Plattenfirmen in Deutschland diese Band gesignt hätte. So entsteht auch aus der Notwendigkeit heraus die David Volksmund Produktion und mit ihr eine Idee, die sich im folgenden Jahrzehnt unter dem Namen Independent vom (kultur)politischen Statement zur inhaltsleeren Genre-Schublade wandeln sollte. „David“ war natürlich das Symbol des Kleinen gegen den Großen und der Volksmund sollte schon auf seiner Seite sein. Oft wird der Name aber mit der schönen, leider aber völlig unwahren Geschichte erklärt, David Volksmund sei ein Schweizer Millionär, der die Band fördere. Den hätte sie allerdings gut gebrauchen können, denn finanziell wird Ton Steine Scherben nie auf einen grünen Zweig kommen. Immer wenn es beginnt, etwas rosiger auszusehen, gibt es herbe Rückschläge. Mal wird gleich eine ganze Wagenladung Schallplatten während einer Tour gestohlen, ein anderes Mal kommen rund 20.000 illegale Nachpressungen der Debüt-LP in den Handel (was angesichts der oben beschrieben Anschubfinanzierung vielleicht noch als „faire Rache“ zu sehen ist), für die die Band aber natürlich keinen Pfennig sieht. Einige Male setzen die Freaks aber einfach auch die falschen Menschen an neuralgische Tätigkeitsbereiche.

 

Aber nicht nur veröffentlichungstechnisch sind Ton Steine Scherben Pioniere – außer den hippiesken Ihre Kinder, den Liedermachern oder den deutlich theatralischen Floh de Cologne gibt es keine deutschsprachige Musik der Jugend - und schon gar nicht keine, die der politischen Stimmung Ausdruck verleiht und gleichzeitig so grandios rotzig, rockig und sexy ist, dass man sie mit den Rolling Stones auf eine Stufe stellen kann. Bestenfalls Checkpoint Charlie sind in diesem Zusammenhang mit zu berücksichtigen, aber Deutschrock ist im Grunde genommen eine Erfindung der Scherben, die zunächst Udo Lindenberg und dann viele nach ihm, zu dem machten, wo für dieser Begriff heute steht. Erst als rund zehn Jahre nach Gründung von TSS der Punk auch nach Deutschland schwappt, gibt es erste Bands, die in der Radikalität ihrer Inhalte und Formen in der Kontinuität von Ton Steine Scherben gesehen werden können, nur das diese nicht unbedingt agitatorisch veranlagt sind. Was dabei ebenso oft übersehen wird, ist, dass die Scherben spätestens ab ihrer zweiten LP genauso für Poesie und Liebeslieder abseits jeglicher kitschiger Klischees stehen, bevor sie später gar die als Mystiker in Erscheinung treten.

 

Davon sind Rio Reiser, RPS Lanrue, Kai Sichtermann und Wolfgang Seidel anno 1970 allerdings weit entfernt. Noch im September läuft in der ARD ein Film über die politische Linke, zu der die erste Scherben Single den Soundtrack liefert, was der Nachfrage enorm auf die Sprünge hilft – selbst angesichts des unorthodoxen Vertriebsweges über die Buchläden. Die Band gibt erste Konzerte in verschiedenen Läden in Berlin und ab Frühjahr 1971 auch in Westdeutschland. Um die Organisation kümmert sich Rios älterer Bruder Gert Möbius, der bald von Nikolaus „Nikel“ Pallat unterstützt wird. Nikel hatte die Band bereits auf Fehmarn gesehen und kreuzt irgendwann bei ihnen in Berlin auf. Der Vollbartträger, der in seinem weißen Sommeranzug mit einem recht fertigen englischen Sportwagen der Marke Triumph vorfährt, ist wohl alles andere als ein vertrauenserweckender Anblick. Auch seine eigenen Texte, die er unaufgefordert vorträgt, sind es nicht, die ihn zum Manager qualifizieren, sondern wohl eher, dass er als Mitarbeiter bei einem Steuerberater etwas vom Umgang mit Geld versteht. Hinzu kommt, dass er so als einziger einen bürgerlichen Beruf nachgeht, der für verlässliche, regelmäßige Einnahmen sorgt. Aber auch seine textlichen und musikalischen Beiträge werden hier und da eine Rolle bei Ton Steine Scherben spielen, so dass er als das fünfte Bandmitglied anzusehen ist.

 

 

Warum Geht Es Mir So Dreckig? (1971)

 

Bereits Ende 1970 beginnen die Scherben mit den Aufnahmen zu ihrer ersten LP Warum Geht Es Mir So Dreckig? in einem Jugendzentrum in Berlin Borsigwalde. Ihr Equipment ist schlicht und ergreifend schlecht, die Aufnahmen entsprechend, so dass sie lange Jahre unveröffentlicht bleiben. Erst 1981 auf Auswahl I gibt es die Aufnahme von Mein Name Ist Mensch und 2006 auf der CD Was Bleibt die – erstaunlich gut restaurierten - Versionen vom Titelsong und Sklavenhändler zu hören. Ersteres wurde sogar einmalig beim Sender Freies Berlin ausgestrahlt und erinnert in dieser, verschleppten „Doom-Version“ ein wenig an Heavy Rock á la Black Sabbath oder Black Widow. Die deutlich drogenverherrlichende Zeile „Ich möchte nur Musik hören und nur noch Farben sehen“  aus der letzten Strophe wird später gestrichen, als für die LP die Stücke noch einmal neu aufgenommen werden. Die A-Seite der LP  Warum Geht Es Mir So Dreckig?  wird live bei einem Konzert am 3. Juli 1971 in der Alten Mensa der Technischen Universität mitgeschnitten, die anderen vier Songs werden im Tonstudio Admiralstrasse von Klaus Freudigmann aufgenommen. Nach dem Konzert in der TU kommt es zur einer der ersten Hausbesetzungen in West-Berlin, vielleicht sogar zur allerersten in der BRD überhaupt, auf jeden Fall sollte es nicht die letzte im Anschluss an einen Scherben-Gig bleiben!

 

Für das Cover werden einfach braune Pappen mit Band- und LP-Namen sowie dem David Volksmund Logo (mit einer Steinschleuder) bedruckt. Die Rückseite bildet ein gleich großes, völlig unbedrucktes Stück derselben Pappe (Songtitel oder ähnliches sucht man vergebens). Nächtelang werden die Cover eigenhändig zusammen getackert und mit den LPs bestückt. Wolfgang Seidel schreibt später: „Das hatte etwas Rohes, Unfertiges. Die Hülle war wie ein Werkstück, während andere Plattencover ihren Warencharakter verschleiern und suggerieren, sie wären für die Ewigkeit geschaffene Kunstwerke. Und das Ding fiel in jedem Plattenstapel auf. Selbst wenn man nicht hinsah, denn beim Blättern stach man sich unweigerlich an den Heftklammern. Leider ist von dem Charme, den das Original-Cover hatte, in der CD-Neuauflage nichts geblieben.“ (Seidel, S. 83) Die aktuelle Version in der Gesamtwerk Box kommt dem Original wieder näher und enthält auch einen Nachdruck des ursprünglich beiliegenden Posters mit der zerbrochenen Debüt-Single, allerdings fehlen die Heftklammern. Das Motiv für das Poster, das zu einem Bandlogo mit hohem Wiedererkennungswert wird, entsteht wie so vieles aus einer konkreten Situation heraus: Rios Freund Raymond Fleschner hatte die Single seinem Schwager vorgespielt, der offensichtlich wenig davon verstand, was mit Macht Kaputt, Was Euch Kaputt Macht gemeint war. Er machte stattdessen die Single kaputt, die Raymond in Einzelteilen wieder mit zurückbrachte. Die Band greift die Idee sofort auf, zerbricht noch ein paar weitere Scheiben, bis die Bruchstellen optisch optimal sind, und nimmt die Scherben (sic!) als „Trademark“.

 

 

Es lebe die Anarchie!

 

Musikalisch ist Warum Geht Es Mir So Dreckig?  sicher keine Meisterleistung, die technischen Fähigkeiten der Truppe sind ausbaufähig, wie sich später zeigen wird. Viele etikettieren diese LP als erste deutsche Punk-Platte, was aufgrund ihrer rohen Direktheit nicht ganz abwegig ist, inhaltlich aber den Kern der Sache nicht trifft. Schon eher passende Vergleiche sind zu einzelnen Songs ausländischer Bands und Künstler möglich: wenn man so will haben die Scherben eine deutschsprachige Entsprechung dessen geschaffen, was mit Dylans Masters Of War begann, mit Street Fighting Man von den Rolling Stones weitergeführt wurde und bei den Stooges, Edgar Broughton Band oder MC5s mit Kick Out The Jams vorerst endet. Der Sound der ersten LP, die natürlich auch alles andere als optimal aufgenommen ist, transportiert die emotionale Ebene der politischen Texte: Wut, Aggression, Wille zur Veränderung. Diese Platte signalisiert: Wir haben nicht nur die Schnauze voll, wir haben auch den Mut und die Kraft, die Verhältnisse zu ändern. Wir wissen, was schief läuft und wir haben bessere Konzepte als den Kapitalismus. Die Scherben haben sich nie explizit einer linken Organisation zugehörig gezeigt, erst recht nicht aus dem real existierenden Sozialismus. Viele Texte sind  - aus dem Zusammenhang gerissen – weiter auslegbar, was das Beispiel der faschistischen Band Landser zeigt, die tatsächlich meinen, sich einen Song wie Allein Machen Sie Dich Ein zu Eigen machen zu können. Im Kontext des Gesamtwerks und der Begleitumstände ist aber klar, dass der Gegenentwurf nur Anarchie heißen konnte, auch wenn dieses Wort ebenso wenig konkret genannt wird. (In diesem Zusammenhang muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass die heute gern benutzte Reduzierung des Begriffes Anarchie auf Chaos oder den Zustand unklarer Regierungsverhältnisse zu Zeiten von Umstürzen im Grunde genommen eine Verkehrung des ursprünglich Gemeinten darstellt. Anarchismus ist eine wohl durchdachte Theorie und Anarchie eine Gesellschaftsform, in der nicht via Gesetz und Macht sondern via Vernunft und Einsicht Entscheidungen getroffen werden. Es gibt dazu einige, leider fast vergessene theoretische Werke, aber auch historisch belegbare Beispiele. Eine lange, tragische Geschichte!)

 

 

Musik für die direkte (Re)aktion

 

Mittlerweile ist auch einiges Medieninteresse an Ton Steine Scherben entstanden und es gibt neben den vielen Radiosendern, bei denen sie auf der so genannten „schwarzen Liste“ stehen – ob die real oder nur fiktiv im Kopf der zuständigen Redakteuren existieren, sei dahin gestellt – immer wieder Journalisten, die sich trauen, über die Scherben zu berichten und ihre Musik zu spielen. Albrecht Metzger vom Süddeutschen Rundfunk (später beim Rockpalast) ist so jemand, dem man mit der Reihe Jour Fixe ein Format zugestanden hat, mit dem der Sender ganz im Sinne Willy Brandts „mehr Demokratie wagen“ wollte. Metzger dreht gleich eine ganze Reihe von Filmen zu Songs von den Scherben, wobei mit Allein Machen Sie Dich Ein bereits ein erster Song der zweiten LP aufgenommen wird. Das Stück heißt zunächst Organisationssong und wird im Juli 1971 live zusammen mit den Besetzern eines Jugendzentrums, über das der TV-Beitrag geht, eingespielt. Diese Aufnahme erscheint nur auf der zweiten Single der Scherben, die als Flexidisc und unter der Bezeichnung Ton Steine Scherben & Jugendzentrum Berlin erscheint. Die Band hat mittlerweile eine Maschine zur Pressung dieser Folien-Singles (den frühen Vorläufern der heutigen CD-Beilagen in manchen Heften) erstanden, die zwar keine tolle Qualität gestattet, mit der aber sehr schnell und völlig eigenständig Musik veröffentlicht werden kann. Die B-Seite der Scheibe ist eine weitere Kooperation, dieses Mal von Ton Steine Scherben & Frauenbefreiungsfront. Der Song wird von den zufällig im Studio anwesenden Frauen gesungen und zusammen mit zwei weiteren Stücken für den Film Eine Prämie Für Irene von Helke Sander verwendet. Wie das Stück wirklich heißt, steht nicht ganz fest: neben Wir Warn Blöd So Lang Zu Jammern (Frauenbefreiungsfront) und Frauen Gemeinsam Sind Stark (Frauenpowersong) hat sich für die Single der Titel Jetzt Ist Feierabend etabliert. Verständlicherweise haben die Scherben das Stück nie live gespielt, es ist jetzt aber ebenso wie die Urversion von Allein Machen Sie Dich Ein ebenfalls auf der CD Was Bleibt zu hören. Zwei alternative Aufnahmen für Fernsehsendungen von 1971 sind auf dem Soundtrack zum Film Der Traum Ist Aus Oder Die Erben Der Scherben (Happy End, 2001) zu hören: Ich Will Nicht Werden, Was Mein Alter Ist (Jour Fixe, SWR) und Macht Kaputt, Was Euch Kaputt Macht (WDR, Herbst 71).

 

Auch für die Radio Bremen-Kultsendung Beat Club werden Aufnahmen mit den Scherben abgedreht, allerdings nie gesendet. Macht Kaputt... wird in der Fabrik der Deutschen Telefon Werke (DeTeWe) aufgenommen. Für den öffentlich-rechtlicher Sender war die Drehgenehmigung kein Problem, aber die Firmenleitung wurde wohl nicht ganz darüber aufgeklärt, was genau in ihrer Fabrik ablaufen sollte. Die Aufnahmen können sie nicht mehr verhindern, deren Ausstrahlung aber erfolgreich unterbinden. Auch nicht zu stoppen ist Nikel Pallat, der am 3 Dezember 1971 ein Stück bundesdeutscher Fernsehgeschichte schreibt, die in kaum einen Rückblick auf die Medienereignisse dieser Zeit fehlt. In der WDR-Gesprächsrunde „Pop Und Co – Die Andere Musik Zwischen Protest Und Markt“ hat er sich vor allem mit dem dubiosen Rolf-Ulrich Kaiser - dem Gründer das Labels Ohr und Erfinder des unsäglichen Begriffs „Kosmisch“ für elektronische Musik - angelegt. Nach einigen Wortgefechten zieht Nikel ein kleines Hackebeil aus der Jacke und beginnt, auf den Studiotisch einzuschlagen. Die anderen Gesprächspartner ergreifen die Flucht und der Scherben-Manager beginnt die Mikrophone abzubauen und einzustecken. Das ganze geht eine knappe Minute lang live über den Sender, bis die Übertragung unterbrochen wird.

 

 

Schwarzfahren am T-Ufer

 

Nachdem im September 1971 Warum geht es mir so dreckig? erscheint geht die Band mehrfach auf kürzere Touren durch die Bundesrepublik und spielt im Oktober auch erstmals in der Schweiz. Bereits kurz zuvor war Schlagzeuger Seidel von Sven Jordan ersetzt worden – der erste von vielen Besetzungswechseln auf dieser Position, während der Rest der Band – mit Ausnahme einer zweijährigen Pause von Kai Sichtermann – bis zum Ende dabei bleiben sollte. Die Konzerte in der Schweiz enden mit der Ausweisung. Bereits im Juni 1972 spielt Ton Steine Scherben aber wieder dort und neben wenigen Konzerten in Österreich, einem Gig in Polen 1984 und einem TV-Auftritt in Belgien 1977 bleibt die Schweiz das einzige Land außer der BRD inklusive West-Berlin, in dem die Scherben auftreten.

 

Anfang 1972 erscheint die dritte Single, ebenfalls wieder als Flexidisc. Danach ist allerdings die Pressmaschine kaputt und es dauerte bis 1979 ehe eine weitere Single-Veröffentlichung folgen sollte. Der Anlass dieser zweiten Folien-Scheibe sind die Fahrpreiserhöhungen der Berliner Verkehrs Gesellschaft (BVG), die zu massiven Protesten führen – übrigens nicht nur bei Linken und Studenten sondern bei weiten Teilen der Bevölkerung! Die Antwort der Scherben ist der Song Mensch Meier, in dem jener Meier als Schwarzfahrer ein gutes Beispiel für weitere Fahrgäste abgibt. Auch hier ist die B-Seite namens Nulltarif recht skurril, denn sie besteht aus Interviewausschnitten, die Klaus Freudigmann und Rainer März unter Fahrgästen der BVG durchführt. Zu hören ist dabei auch, wie ein Bediensteter der Verkehrbetriebe versucht, die Interviews zu unterbinden, die befragten Mitbürger aber vehement dafür eintreten, ihre Meinung kund tun zu wollen. Auch diese beiden Aufnahmen gibt es erstmalig auf Was Bleibt wieder zu hören.

 

Inzwischen ist die Band auch zur Kommune geworden. Am Tempelhofer Ufer 32 in Berlin Kreuzberg, direkt am Landwehrkanal hat man eine 8-Zimmer-Wohnung aufgetan, die die nächsten Jahre die Heimat von Ton Steine Scherben bleibt. Den Bandmitgliedern ist wichtig, nicht nur zusammen Musik zu machen, sondern eine Einheit aus Privaten und Politischen, Wohnen und Arbeiten zu verwirklichen. Dass dies – insbesondere in Zeiten absoluter Geldknappheit – nicht immer spannungsfrei ablaufen kann, ist klar, vor allem wenn man seine Bleibe allen möglichen Bedürftigen ebenfalls mit zur Verfügung stellt. Durch die Verbindung zu Jugendzentren und besetzten Einrichtungen spricht sich schnell rum, dass im „T-Ufer“ nicht lange nachgefragt wird, wenn ein jugendlicher Trebegänger eine Übernachtungsmöglichkeit braucht, entsprechend häufig wird die Gastfreundschaft angenommen und auch über längere Zeit ausgenutzt. Einer der vorherigen Bewohner der Wohnung war Holger Meins, der inzwischen im Untergrund agierende RAF-Mann. Ob seinet- oder der aktuellen Bewohner wegen – regelmäßige Razzien sind garantiert.

 

 

Keine Macht Für Niemand (1972)

 

Ein knappes halbes Jahr nach der Debüt-LP beginnen Ton Steine Scherben Anfang 1972 schon mit der Arbeit an der zweiten Langspielplatte, die - wie die folgenden beiden Platten auch - Doppel-LP-Format erlangen wird. Neben den beiden Single-A-Seiten Allein Machen Sie Dich Ein und Mensch Meier, die beide aber neu eingespielt werden, sind noch einige Songs aus der Frühzeit übrig geblieben. Komm Schlaf Bei Mir wurde schon in Borsigwalde aufgenommen – damals angeblich in einer Heavy Metal-Version. Jetzt entsteht ein neues Demo des Stücks, das auch auf der CD Was Bleibt zu hören ist, während der Song für die Doppel-LP noch einmal neu im Hamburger Alsterstudio eingespielt wird. Ebenfalls schon fertig komponiert ist Schritt Für Schritt Ins Paradies. Beide Songs sind allerdings auch aus heutiger Sicht kaum denkbar für die kämpferische Debüt-LP und finden sich folgerichtig auf dem Nachfolger Keine Macht Für Niemand. Diese Doppel LP wird die bis heute erfolgreichste und nach Ansicht vieler auch beste Ton Steine Scherben-Platte überhaupt werden. Auf jeden Fall gelingt der Band der Spagat, die Erwartungen, die Warum Geht Es Mir So Dreckig? geschürt hat, zu befriedigen, sich aber gleichzeitig musikalisch und inhaltlich weiter zu entwickeln. Nach wie vor geben schnelle, aggressive Kampflieder das Tempo vor, aber es finden sich eben auch ruhigere und poetischere Momente. Gerade Komm Schlaf Bei Mir ist ein solcher - im Grunde ein einfaches Liebeslied, das aber eben den Bogen vom Privaten zum Politischen schlägt. Wenn es heißt „Ich bin nicht über dir / Ich bin nicht unter dir / Ich bin neben dir“, dann definiert Rio Reiser in der privaten Beziehung die Ablehnung der Machtausübung, die er sie in anderen Songs explizit politisch formuliert. Reiser selbst, der weder sein Schwulsein, noch seine Vorliebe für sehr junge Proletarier an die große Glocke hängt, scheint es nach Augenzeugenberichten nicht unbedingt so ganz genau mit diesem hehren Ideal genommen haben.

 

Aber der entscheidende inhaltliche Schritt nach vorne ist der, dass nicht mehr nur Zustände kritisiert werden, sondern auch Utopien entworfen werden. Natürlich gibt es weiterhin Protestsongs, allen voran das Titelstück, das die anarchistische Haltung konkretisiert. Dieser Song ist eine Art „Auftragsarbeit“: mehr oder minder direkt hatte die RAF bei den Scherben angeklopft und einen Song für den bewaffneten Kampf „bestellt“ – wie auch immer man sich das vorzustellen hat. Mit dem Ergebnis sind die Kämpfer allerdings wohl nicht sehr zufrieden, in den Kontext der frühen Scherben passt der Song allerdings bestens. Hier – wie übrigens im gesamten Œuvre der Band - gibt es allerdings keinen Hinweis, der terroristische Gewalt rechtfertigt. Schritt Für Schritt Ins Paradies ist sicher nicht christlich gemeint – obwohl Rio Reiser noch vor seinem Lieblingsautor Karl May die Bibel als seine wichtigste Inspirations-Lektüre sieht und sicherlich in einer sehr unorthodoxen Art als spiritueller Mensch zu begreifen ist. Das Paradies ist hier kein Ort jenseits des Lebens, sondern „die neue Welt“, die es gilt, im Hier und Jetzt zu bauen anzufangen. Der zentrale und beeindruckentste Song der Platte, wenn nicht Ton Steine Scherbens und Rio Reisers überhaupt, ist Der Traum Ist Aus. Musikalisch ungewohnt folkig, komplex aufgebaut und durcharrangiert komprimiert dieses Stück das Credo der Anarchie in neuneinhalb Minuten. Der Beschreibung der Träume von paradiesischen Zuständen ohne Angst, Krieg, Waffen, Gefängnisse, etc wird Raum und Berechtigung gegeben, um dann im musikalisch deutlich anziehenden Refrain klar zu machen: „Der Traum ist aus / aber ich werde alles geben / dass er Wirklichkeit wird“. Visionen und Utopien bleiben nicht Hirngespinste sondern sind Motivation zum konkreten Handeln, denn weiter heißt es „Gibt es ein Land auf der Erde, wo der Traum Wirklichkeit ist / ich weiß es wirklich nicht / ich weiß nur eins / und da bin ich sicher / dieses Land ist es nicht.“ Diese Zeilen sind auch 1988 noch ein Fanal, als Rio Reiser zum ersten Mal in Ost-Berlin auftritt, und mehrere tausend DDR-Bürgern sie lauthals mitsingen (zu hören auf der DoCD Rio Reiser - Live in der Seelenbinder Halle). Der Text endet schließlich mit: „Wir haben nichts zu verlieren / außer uns(e)rer Angst / es ist uns(e)re Zukunft / es ist unser Land / gib mir deine Liebe / gib mir deine Hand“ – bis heute hat es niemand geschafft, einen poetischeren Aufruf zur Revolution in Form eines deutschsprachigen Rocksongs zu verfassen und es gibt berechtigte Zweifel, ob das jemals gelingen wird!

 

Musikalisch tritt Lanrue immer stärker in den Vordergrund. Während beim Debüt noch fünf Songs von Rio komponiert wurden und nur die restlichen drei vom Gitarristen stammten, zeichnet er jetzt für zwei Drittel der Musik verantwortlich. Die Texte stammen bei beiden Alben ausschließlich von Rio, mit zwei Ausnahmen: Alles Verändert Sich hatte er zusammen mit seinem Bruder Gert getextet und Paul Panzers Blues ist einer der wenigen Texte von Nikel Pallat, die bei den Scherben unterkommen und die er auch selber vorträgt (die weiteren sind Guten Morgen und Wir Sind Im Licht auf der dritten LP).

 

Neben den vier Musikern plus Nikel Pallat  gibt es auf Keine Macht Für Niemand eine große Anzahl weiterer Gäste, wie beispielsweise die Bewohner des Georg-von-Rauch-Hauses, die „ihren“ Song singen, dem sie zuvor ablehnend gegenüber standen. Sie ändern allerdings die Zeilen „Wenn die das Rauch-Haus wirklich räumen / bin ich aber mit dabei / und hau den ersten Bullen, die da auftauchen /  was auf ihre Fingerlein“ in „... und schlag den ersten Bullen, die da auftauchen / ihre Köppe ein“. Rio macht diese Änderung live häufig wieder rückgängig – ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Scherben Gewalt gegen Personen nicht propagieren wollen. Jörg Schlotterer, der scherzhaft als „religiöser Berater“ fungiert und Mitbewohner am T-Ufer ist, bläst das Querflötensolo in Der Traum Ist Aus. Die Doppel-LP erscheint im Oktober 1972 im eingangs beschriebenen weißen Wellpappkarton, den Rios Vater Herbert P. Möbius als Verpackungsingenieur entworfen hatte und in den außer den beiden Scheiben noch ein Textblatt und ein Katschi – eine Spielzeug-Steinschleuder – passt. Nikel hatte 10.000 Plastikexemplare made in Hongkong bestellt, von denen ein Großteil bald nach Lieferung kurzzeitig durch die Berliner Polizei beschlagnahmt wurde – Begründung: „illegaler Waffenbesitz“...

 

 

Kick Out The Jams, Motherfucker!

 

Anfang März 72 spielen die Scherben im Vorprogramm der schon erwähnten MC5, was für sie eine günstige Gelegenheit ist, um dringend benötigtes, neues Equipment anzuschaffen. So sollte es nämlich ihr Stammpublikum erst mit einigen Abnutzungserscheinungen zu sehen bekommen, was dessen Argwohn beschwichtigt. Dass hört sich ein wenig abstrus an, aber so werden Ton Steine Scherben zu dieser Zeit tatsächlich beäugt. Viele meinen: Wenn die sich neue Verstärker leisten können, dann sind sie wohl jetzt reiche Stars geworden und nicht mehr „unsere“ Band! Den besten Deal macht dabei nebenbei Rio, der sich eine neue Gitarre auf Raten kauft. Nach der ersten Rate geht allerdings der Musikladen pleite und somit fordert auch keiner mehr die ausstehenden Zahlungen!

 

Während der folgenden Tour Mitte des Monats wird Drummer Jordan mehr oder minder gefeuert und für das Konzert in Siegen muss Lanrue seinen Platz einnehmen. Der kann zwar Schlagzeug spielen, aber nicht gleichzeitig Gitarre! Kurzfristig springt Wolfgang Seidel für ein weiteres Konzert im Audimax der TU, Berlin wieder ein, bevor dann Olaf Lietzau für die Plattenaufnahmen den Schlagzeughocker übernimmt. Olaf lebt in Hamburg, ist noch nicht volljährig und zum Leidwesen der Band untersagen ihm seine Eltern, weiter bei den Scherben mitzuspielen. Es gibt einige, wenige gemeinsame Konzerte bis Mitte April 1972 in Norddeutschland, bevor Hannes-Jürgen „Captain“ Hynding ihn bis Ende 72 live ersetzt.

 

Das Jahr 1973 beginnt mit einer legendären Begegnung: An der Tür des Tempelhofer Ufers 32 steht ein Mann mit einem gigantischen dunklen Lockenkopf und bittet um Einlass. Es ist Fußball-Profi Paul Breitner von Bayern München, der für einige Zeit in lockeren Kontakt mit der Band steht, und ein paar Freikarten springen lässt. Wie Rio zitiert auch Paule gerne aus der Mao-Bibel und sympathisiert mit der Haltung der Band. Kaum zu glauben aus heutiger Sicht, wo Breitner als so genannter Fußball-Experte vornehmlich in der Springer Presse gegen aktuelle Spieler und Trainer hetzt...

 

Für die Konzerte zwischen Februar und Mai 73 gibt es – natürlich – einen neuen Schlagzeuger. Helmut Stöger, der außerdem von Angie Olbrich (der langjährigen Freundin von Kai Sichtermann und Mutter seiner 1981 geborenen Tochter Lisa) und Anna Schimany an den Percussions unterstützt wird. Auch Schlotterer darf gelegentlich mittrommeln. Die Tour endet in Schwäbisch-Hall mit einem Konzertabbruch, der fast das endgültige Ende der Band besiegelt hätte. Die Scherben sind ausgebrannt von nach wie vor chaotischen, unprofessionell organisierten Konzertreisen, die zum größten Teil aus Benefiz-Konzerten für diesen oder jenen Zweck bestehen. Die Bedingungen sind katastrophal, es gibt nicht nur keine Gagen, die über pure Kostendeckung hinausgingen, sondern elementare Grundbedingungen wie halbwegs vernünftiges Catering oder Schlafplätze, die nicht über diverse WGs und Kommunen verteilt sind, fehlen. An diesem Abend ist die Band am Ende, Rio sagt dem Publikum mitten in Schritt Für Schritt Ins Paradies: „Wir können nicht mehr. Es tut uns wirklich leid, Leute, aber – sorry“. Man beschließt die Auflösung.

 

 

Etwas Besseres als den Tod finden wir überall!

 

Die Band zerstreut sich in alle Winde und macht Urlaub, aber gegen Ende des Sommers trudeln nach und nach alle wieder am T-Ufer ein und bleiben dort wohnen, bis auf Kai Sichtermann, der für die kommenden zwei Jahre nicht zur Band gehört, aber immer in Kontakt mit ihr bleibt. Wieder ist es eine Theatermusik, die Ton Steine Scherben belebt. Für das Stück Herr Fressack Und Die Bremer Stadtmusikanten von Hoffmanns Comic Teater schreiben Rio und Lanrue die Songs, die dann direkt in der Wohnung mit allen, die dort gerade weilen, aufgenommen werden. Initiiert wird diese Aktion von Werner „Gino“ Götz, der dann bis zu Kais Rückkehr 1975 auch bei TSS Bass spielt. Die LP erscheint zu Weihnachten 1973 und liegt seit 1999 auch als CD auf Möbius Rekords, dem Label von Rios Brüdern und Erben Gert und Peter Möbius vor.

 

Als sich Anfang 1974 herauskristallisiert, dass Ton Steine Scherben doch weitermachen wollen, stehen sie vor einem bekannten Problem: Sie brauchen einen neuen Schlagzeuger. In Klaus „Funky“ Götzner finden sie endlich eine Langzeitlösung, die bis zum Ende der Band Bestand haben wird. Außerdem ist Funky, der so genannt wird, weil er neben den Scherben gerne noch in einer Funkband gespielt hätte, der erste Musiker bei TSS, der mit seinen bisherigen Engagements bei Embryo und Missus Beastley so etwas wie eine musikalische Vergangenheit vorzuweisen hat – wenn auch keine, die den übrigen Bandkollegen großen Respekt abringt . Er zieht ebenso wie Gino ins T-Ufer ein, in dem mittlerweile eine weitere Etage vom Scherben-Kollektiv bewohnt wird. Ab Mai beginnen die Aufnahmen zum dritten Album Wenn Die Nacht Am Tiefsten, das abermals Doppel-LP-Format annehmen wird, ziehen sich jedoch bis zum April 1975 hin. Als das Album dann im September veröffentlicht wird hat die Band Berlin schon den Rücken gekehrt und lebt seit einem Vierteljahr im selbstgewählten Landexil – bis auf Gino, der nicht mit umzieht.

 

Fresenhagen liegt fast an der dänischen Grenze und besteht nur aus einer Hand voll alter Bauernhöfe. Einen besonders baufälligen davon haben die Scherben – mit Hilfe von Nikel Pallats Bausparvertrag – erworben und sich damit ihr Refugium geschaffen, das sie vor dem ständigen Einvernommen-, Vor-diesen-oder-jenen-Karren-gespannt- und letztendlich Ausgenutzt-Werden in Berlin schützt. Die zunächst notdürftige Herrichtung des Gehöfts ist eine neue Komponente im Zusammenleben und –arbeiten der „Stadtkinder“. Und auch die Besuche der Staatsmacht lassen schnell nach, zumal es mit der wohl sehr toleranten nordfriesischen Landbevölkerung keine Schwierigkeiten gibt, man sich bald sogar nachbarschaftlich hilft.

 

Ein weiterer Auslöser für die Landflucht ist wohl auch der so genannte „Glitzer-Gig“, der im April 74 die Konzertpause beendete. Wiederum im Audimax der TU findet der Auftritt statt und dieses Mal haben die Scherben den Saal geschmückt und passend zum aufkommenden Glamrock reichlich Glitzerkram verteilt. Sie haben die Nase voll vom linken Kleiderkodex, sie wollen revolutionär und attraktiv sein dürfen und werden von den linken Dogmatikern nicht verstanden. Die wittern mal wieder Verrat und die Band ist desillusioniert ob dieser konservativen Haltung der vermeintlich Revolutionären. TSS spielt im Mai und Juli 1974 noch einige wenige Konzerte, geht danach aber erst wieder Ende 1976 auf Tour. Dazwischen liegen lediglich ein „Begrüßungs“-Auftritt im Trichter in Niebüll (der nächsten Disco bei Fresenhagen) im Dezember ’75, bei dem der in der Nähe von Kiel lebende Kai Sichtermann bereits wieder mit an Bord ist, und ein TV-Shooting auf Sylt im folgenden März.

 

 

Wenn Die Nacht Am Tiefsten... (1975)

 

Die Platte, die in dieser Zeit entsteht, ist also nicht nur im musikalischen Sinne eine Übergangsarbeit. Am exemplarischsten dafür ist der Song Ich Geh Weg, denn was hier auch textlich zum Ausdruck gebracht wird, liegt formal der ganzen Platte zugrunde: „Ich geh weg und such was neues / Ich geh weg und bin nicht traurig“. Einige der Stücke sind wiederum älter, wie der Titelsong, der auf ein Zitat von Ho Chi Minh beruht und ebenso wie Land In Sicht schon1971 entstanden war. Samstagnachmittag stammt gar noch aus dem Fundus der Roten Steine von 1970. Die anderen Stücke entstehen neu und die Band ist dabei, ihre musikalische Ausrichtung merklich zu erweitern. Bis auf Wenn Die Nacht Am Tiefsten... gibt es keine kraftstrotzende Agitrock-Nummern mehr, auch wenn textlich Stücke wie Nimm Den Hammer oder Guten Morgen eindeutig an bisherige Arbeiter-Kampflieder anknüpfen. Halt Dich An Deiner Liebe Fest ist wie schon Komm Schlaf Bei Mir ein wunderbares Liebeslied, mit Sicherheit eines der besten der deutschen Rockgeschichte überhaupt. Gleich beim Opener Heute Nacht gibt es zum ersten Mal so etwas wie Groove bei den Scherben – so zufällig hieß der neue Schlagzeuger also nicht Funky! Wir Sind Im Licht ist offenkundig von den Theaterproduktionen inspiriert und mit Durch Die Wüste wird Karl May Tribut gezollt, auch wenn der Song inhaltlich nichts mit dem Roman zu tun hat. Ab sofort gibt es auf jeder Scherben Platte einen May-Titel. Am ungewöhnlichsten aber sind die beiden letzten Stücke des Doppelalbums: zunächst Komm An Bord, ebenfalls eine Art Mini-Rock-Oper und abschließend das zwanzigminütige Steig Ein, das die komplette vierte Plattenseite einnimmt. Der eigentliche Song besteht nur aus wenigen Zeilen, weite Strecken des Stückes sind die Untermalung zur Erzählung eines Traumes von Rio. Er beschreibt die Schönheit eines Planeten, von dem er erst am Schluss erkennt, dass es die Zukunft der Erde ist. Witzigerweise zitieren die Scherben sich selbst auf dieser LP mehrfach musikalisch. Wenn man genau hinhört, dann kann man beispielsweise in Samstagnachmittag kurz die Melodie von Macht kaputt... wieder finden (nach der Zeile „Ein Bullenauto fährt langsam vorbei / und wartet auf ’ne Schlägerei“).

 

 

Abstand gewinnen

 

Die erste Zeit in Fresenhagen ist außer vom Löcher im Dach stopfen und sich irgendwie einrichten vor allem von Theater- und Filmmusik-, sowie Hörspielproduktionen bestimmt. Dietmar Robergs Kinderhörspiel Teufel Hast du Wind macht 1976 den Beginn (CD auf Möbius Rekords 2001), es folgen diverse Projekte, die neben den LP-Verkäufen die Landkommune knapp über Wasser halten. Noch im selben Jahr erscheint  Paranoia mit dem Kollektiv Rote Rübe, mit dem 1979 bei Liebe Tod Hysterie noch einmal kooperiert wird. Dazwischen liegen After Punk Show mit Transplantis (78) und zwei Scheiben mit dem schwulen Theaterensemble Brühwarm um den späteren Intendanten des Schmidt Theaters und FC St. Pauli-Präsidenten Corny Littmann. Auch auf deren beiden Alben Mannstoll (1977) und Entartet (79) stammt die komplette Musik von Rio und Lanrue, die sie zusammen mit ihren Bandkollegen im mittlerweile eingerichteten Studio in Fresenhagen aufgenommen haben. Text und Gesang werden allerdings von Brühwarm selbst beigesteuert und sind häufig eher derber gestrickt. Songtitel wie Immer Wieder Ficken sprechen eine deutliche Sprache. Allerdings sind mit dem wirklich grandiosen Shit Hit (eine Ode an verschiedenste Drogen) sowie den Stücken Raus, das später Raus (Aus Dem Ghetto) heißt, und Kommen Sie schnell (Hallo Hallo), beziehungsweise Kommen Sie schnell (Irrenanstalt) auch drei Lieder dabei, die die Scherben in ihr Repertoire übernehmen und die auch auf ihren Live-Platten erscheinen. Gerade Raus (Aus Dem Ghetto) ist musikalisch ein fast klassischer Scherben-Song, nimmt inhaltlich aber insofern eine Sonderstellung ein, weil Rio Reiser an keiner anderen Stelle im Werk von TSS explizit für Schwulen-Rechte eintritt oder überhaupt Homosexualität thematisiert. Irrenanstalt erscheint (unter diesem, dritten Titel) außerdem noch einmal auf Rios fünfter Solo-Platte Über Alles 1993. Und noch ein weiterer spätere Rio-Titel wird für ein Sideprojekt erstveröffentlicht: Jetzt Schlägt’s Dreizehn von Durch die Wand wird 1981 für das Stück Märzstürme von HCT geschrieben und ist seit kurzem auch in einer TSS-Version auf Live III zu hören. Der Text stammt von Peter Möbius.

 

Neben dem Scherben-Studio haben sich auch die Frauen, die in Fresenhagen leben, zum Musizieren zusammen getan und einen Raum dafür hergerichtet. Neben Angie Olbrich am Bass sind dies Lanrues Schwester Elfie-Esther Steitz (die nach ihrer Heirat mit dem Spliff- und Lok Kreuzberg-Musiker Steitz-Praeker heißt) als Gitarristin und Schlagzeugerin Britta Neander, die auch bei den Scherben und später in Rio Reisers Band Percussions spielt. Danach wird sie Mitglied bei den Lassie Singers und gründet die Band Britta, der sie bis zu ihrem Tod 2004 in Folge einer Herzoperation angehört. Als Carambolage veröffentlicht die Band zwei Alben – das unbetitelte Debüt-Album 1979 und Eilzustellung Express drei Jahre später, als zusätzlich Janett Lemmen (Bass, Saxophon) eingestiegen ist – die ihnen als die erste deutsche Frauen-Punk-Band einige Anerkennung einbringen, auch von den durchaus neidisch irritierten Herren Mitbewohner!

 

Die haben sich erstmal wieder mit politischen Fragen rumzuärgern: Die SPD bietet 1976 eine nicht zu verachtende Summe dafür an, dass die Scherben für sie mit einem Musik-Theaterstück auf Wahlkampftour gehen. Die Band lehnt ab, schreibt aber sechs Songs für diese Unternehmung (für eine wesentlich kleinere Summe, versteht sich!). Eines dieser Stücke findet sich später doch bei TSS wieder: Ich will Ich Sein (auf In Berlin 1984 / Live I). Das zur selben Zeit geschriebene Mole Hill Rockers, das anfangs Arbeitslosen-Reggae heißt und für das letzte Studio-Album Scherben noch einmal neu eingespielt wird, gehört allerdings nicht zum „SPD-Repertoire“, auch wenn es blendend gepasst hätte. Für die SPD-Tour wird eine Band aus dem Umfeld zusammengestellt, die sich Captain Hammer nennt. Dabei sind Kai Sichtermann (der zu dieser Zeit noch nicht wieder bei den Scherben eingestiegen ist), die beiden T-Ufer- und Fresenhagen-Mitbewohner Uli Hammer und Jako Benz, sowie wundersamerweise der Ur-Schlagzeuger Wolfgang Seidel, der außerdem 1980 beim Eröffnungskonzert für das Tempodrom in Berlin noch ein letztes Mal mit den Scherben auftritt – allerdings als Vibraphonist. Im Jahr 2005 tritt er als Herausgeber des Buches „Scherben – Musik, Politik Und Wirkung der Ton Steine Scherben“ noch einmal ins Rampenlicht und stellt sich merkwürdigerweise so dar, als sei er der einzig politisch standhafte gewesen...

 

Außerdem sorgt es für Furore als Ton Steine Scherben 1979 zusammen mit Corny Littmann und Ernst Meybeck (beide von Brühwarm) die Single Das Ist Unser Land / Kommen Sie Schnell herausbringen, deren A-Seite als Wahlkampfspot für die GAL, die Hamburger Grünen im Radio läuft. Littmann ist Spitzenkandidat, die Ergebnisse bei der Wahl 1980 sind allerdings eher bescheiden, aber zumindest wird verhindert, dass Franz Josef Strauß Kanzler wird.

 

In Fresenhagen hatte mittlerweile die große Landflucht eingesetzt: von den ursprünglich sechzehn Kommunarden sind nur noch Lanrue, Funky und Britta Neander übrig geblieben, selbst Rio hält sich zeitweise häufiger in seiner Berliner Zweitwohnung als in Schleswig-Holstein auf. Die Schulden sind brüderlich aufgeteilt worden und Rio und Lanrue übernehmen den Hof offiziell von Nikel Pallat, als auch dieser vor Bord geht. Kai Sichtermann wird zum Einzug überredet, so dass Fresenhagen zumindest wieder eine komplette Band beherbergt, zu der sich Hannes Eyber gesellt. Der Texter, den Rio bei Theater-Arbeiten Anfang der 70er in Frankfurt kennen gelernt hat, wird für die Produktion der vierten Platte eine Art „Teilzeit-Scherbe“, tritt aber nur als Autor wesentlich in Erscheinung. Mit ihm zusammen verfasst Rio später seine Autobiographie König Von Deutschland. Jener titelstiftende Song existiert zu dieser Zeit übrigens schon seit fünf Jahren als Demo von Ton Steine Scherben (und wurde mindestens einmal auch live gespielt) wie einige Stücke mehr, die später auf Reisers Solo-Alben erscheinen.

 

 

Scherben IV – Die Schwarze (1981)

 

Für die neue Platte, die dritte Doppel-LP in der Bandgeschichte, wird allerdings nicht auf liegen gebliebenes Material zurückgegriffen, sondern ein völlig neuer Arbeitsansatz gewählt, der ein ebensolches Resultat bringt. Die Schwarze oder Scherben IV wie die eigentlich namenlose LP im uni-schwarzen Cover der Einfachheit halber genannt wird, ist das innovativste, musikalisch anspruchvollstes und abwechslungsreichste Alben der Scherben, dessen Größe unter der miserablen Klangqualität der ersten Pressungen leidet. Nachdem man Vinyl und Presswerk wechselt, bessert sich dies ein wenig, richtig genießen kann man die Platte aber eigentlich erst seit der CD-Neuauflage im Rahmen der Gesamtwerk-Box (und das schreibt ein überzeugter Vinyl-Fan!!!). Nicht nur wegen der düsteren Covergestaltung ist diese LP seit ihrem Erscheinen im März 1981 von einer eigenartigen, mystischen Ausstrahlung gekennzeichnet. Die ungewohnten Klangexperimente und vor allem die nicht minder versponnenen Texte entziehen sich eindeutigen Interpretationen. Die Band ist nicht nur vom agitatorischen Du zu einem lyrischeren Ich gekommen, sie hat sich völlig von Parolen oder konkreten Geschichten abgewendet. Manche Bilder lassen sich dechiffrieren, andere bleiben nebulös. Erst als Kai Sichermann 2000 in seinem Buch Keine Macht Für Niemand das Geheimnis um die Entstehung des Songmaterials lüftet, erklären sich allmählich zumindest Teile dieser Platte. Musikalisch kommen ungewohnte Instrumente wie Mini Moog, Akkordeon, Hackbrett oder Banjo zum Einsatz und es sind wieder eine große Reihe Gäste aus dem Band-Umfeld zu hören, selbst Wolfgang Seidel spielt nochmals bei drei Songs Vibraphon und an anderen Stellen Percussions.

 

Die Scherben sind zu der Einsicht gelangt, dass sie immer dann am besten seien, wenn sie unter Zeitdruck stehen. Also wird zunächst ein fester Zeitplan erstellt, der sich nach astrologischen Berechnungen, denen vor allem Rio, aber auch Kai großen Glauben schenken, richtet. Auch Lanrue, dem ausgesprochene Psi-Fähigkeiten nachgesagt werden, und Funky haben ein Faible für Übersinnliches.  Also wird auf Rios Vorschlag hin verabredet, 22 Songs aufzunehmen und zwar je einen zu jeder Karte der Großen Arkanen. Das sind jene Karten in einem Tarotdeck, die jeweils einen grundlegenden Aspekt des menschlichen Daseins symbolisieren. Alle Karten werden in 22 Sitzung an verschieden Orten, die reihum ausgesucht werden, gezogen. Dann wird ausgelost, wer dazu den Text schreibt und wer die Musik komponiert. Alle Scherben inklusive Hannes Eyber, der als Nicht-Musiker aber nur textet, sind damit erstmalig ins Songwriting eingebunden. Allerdings wird von vornherein eine Gewichtung vorgenommen, so dass wieder die meisten Texte von Rio und die meisten Kompositionen von Lanrue (der wiederum nicht textet) stammen. Dennoch ist nie klar, wer mit wem zusammenarbeitet und in zwei Fällen ist Rio auch für Text und Musik gleichzeitig zuständig, nämlich bei S’is eben so (dessen eigenwillig gesetzter Apostroph ein weiteres Rätsel auf einer rätselhaften Platte ist) und Der Turm Stürzt Ein. Letzteres besticht durch seinen seltsamen Countryrock und merkwürdigen Endzeitbildern, die sich neben Bibel und Karl May auf unergründliche Inspirationsquellen stützen. Wer der „Pepsodent von Ju – Es - Ah“ sein soll, lässt sich erahnen, aber ist das Motiv des Spiegels in Niemand Liebt Mich tatsächlich eine Kokain-Assoziation? Die letzte Strophe von Kribbel Krabbel ist italienisch gesungen, aber was zum Teufel bedeuten die Sprachfetzen in Vorübergehend Geschlossen? Wie In Den Tagen Midians besteht nur aus zwei Bibelversen (Jesaja 9,4f.) und wird folgerichtig vom Kinderchor der Niebüller Kirchengemeinde mitgesungen. Die Zeile „Harikafulas lauern in Winnetous Garagen“ in Sumpf-Schlock scheint die Band im Studio zu meinen (die ersten Silben der Vornamen der Beteiligten aneinandergereiht ergibt „Harikafulas“ und „Winnetous Garage“ heißt die Scheune in Fresenhagen, in der sich das David Volksmund Studio befindet). Bei S.N.A.F.T. hat man einen Tippfehler im Wort „Sanft“ beibehalten. Der beeindruckendste Song aber ist direkt der Albumopener Jenseits Von Eden - nach Ansicht des Autoren zusammen mit Der Traum Ist Aus das beste, was die Scherben je aufgenommen haben! Dieses Stück erscheint 1982 zusammen mit Der Turm Stürzt Ein als Single auf dem alten Stones Label Decca, das jetzt zu Teldec gehört. Musikalisch ein hektisch peitschender Rocksong scheint der fast gehechelte Text die prophezeite Apokalypse mit der faschistischen Machtergreifung in Bezug zu setzen („Sechshundertsechsundsechzig / Schütze uns vor gestern / Eins Neun Dreiunddreißig“). Die düstere Bilderflut legt viele Assoziationen nahe, wirklich erklären kann man diesen Song aber genauso wenig wie Die Schwarze insgesamt. Diese Platte bleibt ein Mythos und es wird auch die letzte wirklich überzeugende Scherben Platte bleiben.

 

 

Verkalkuliert

 

Kurz nach der Schwarzen erscheint ebenfalls bei Teldec zunächst unter dem Titel Rock In Deutschland, Vol. 3 später als Auswahl I, eine Best-Of-LP, die neben der frühen Single-B-Seite Wir Streiken auch zwei alternative Studio-Aufnahmen von Meine Name Ist Mensch (Borsigwalde 1970) und Keine Macht Für Niemand (extra für diese Veröffentlichung in Fresenhagen 1981 neu eingespielt) bietet. Auf dem CD-Rerelease gibt es außerdem drei Bonus-Tracks: Seltsamerweise Rios erste Single von 1984 Dr. Sommer/B-Seite – die beim selben Label erschienen war - und das ansonsten unveröffentlichte Auf Fremden Pfaden (noch ein K. May Titel). Dieses Stück hat Kai Sichtermann später für seine Nachtfalter-CD neu aufgenommen - vom Demo von 1982 bleib nur Rios Gesang – und diese Version ist auch auf der Compilation-CD zu hören.

 

Zwischen Wenn Die Nacht Am Tiefsten... und IV liegen fünfeinhalb Jahre, in denen die Band nur sporadisch auftritt. Die einzige etwas ausführlichere Tour Ende 1976 ist wiederum von unnötigen, absurden linken Grabenkämpfen gekennzeichnet. Besonders das Konzert im Hamburger Audimax am 19.11.76 endet in einer 20-minütigen Diskussion darüber, warum die Scherben einen Frauenchor dabei haben und ob dies nicht sexistisch sei. Rio wird vorgeworfen, die befreundeten Musikerinnen (unter ihnen Britta Neander) „angemacht“ zu haben. Irgendwann hat er die Nase voll und singt: „Ich gestehe! Ich bin schwul! Ich bin krank, sagt die AA-Kommune! Wo sind die Gesunden? Auf die Bühne, los! Vorwärts!“ (Hentschel, S. 60) Solche zermürbenden Situationen, die zum Beispiel auch in anderer Weise auf der einzigen TSS-DVD Land In Sicht im Bonusmaterial verewigt sind, sind es, die die Band dazu bringen, lange Zeit kaum aufzutreten und es bei der anstehenden 82er Tour ganz anders anzugehen. Leider heißt „anders“ nicht immer auch gleich „besser“ und die Folge der Tour ist ein finanzielles Fiasko, dass die bisherigen Ausmaße des Schuldenbergs um ein Vielfaches erhöht.

 

Diese Tour geht als die „Elser Tour“ in die Analen ein, weil man ausgerechnet Elser Maxwell als Tourmanager engagiert hat. Der befreundete Kino-Besitzer aus Berlin sagt schon im Vorfeld, er könne mit Geld nicht umgehen, und hat dies eindrucksvoll bewiesen, indem er die nicht geringen Einnahmen, die er damit verdiente, als erster die Rocky Horror Picture Show in einem deutschen Kino zu zeigen, binnen kürzester Zeit mit vielen Freunden und noch mehr Kokain verballerte. Einer seiner Filmvorführer im „Tali“ ist übrigens ein junger Mann, der sich Blixa Bargeld nennt und bei einer Band namens Einstürzende Neubauten seltsamste Klänge produziert – aber das ist eine andere Geschichte...

 

Die Scherben Tour im Januar und Februar 1982 führt durch ca. 40 Städte und ist hervorragend besucht. Für diese Tour wird das Line-Up der Band grundlegend geändert: Rio tritt nur noch als Sänger und Frontmann – mit ganz seltenen Ausflügen ans Klavier – auf. Das macht zusätzlich den Einsatz eines zweiten Gitarristen (Marius del Mestre) und eines Keyboarders (Martin Paul) notwendig, die fortan fest zur Band gehören. Dummerweise ist aber so kalkuliert worden, dass selbst wenn jeder Gig ausverkauft gewesen wäre – und viele sind es! – immer noch ein Minus in der Kasse gewesen wäre! Die Band wollte endlich wie richtige Rockstars unterwegs sein, mit schicken Hotels, feinen Getränken und allem Luxus, den man sich auf einer solchen Ochsentour ruhigen Gewissens gönnen können sollte. Das Problem ist, dass die Scherben eingedenk ihrer früheren „Solidaritätspreise“ nicht zu sehr an der Eintrittspreis-Schraube drehen – wohl auch, weil viele örtliche Veranstalter Bedenken gehabt hätten. So gibt es also eine normal teure Produktion zum Eintritts-Dumpingpreis vom meist unter 12,- DM. Das Ende vom Lied sind wohl um die 200.000 DM Schulden mehr für die eh schon gebeutelte Scherben-Kommune. Ironie am Rande: bei insgesamt rund 70.000 Besuchern hätte mit nur 3,- DM höheren Eintritt – und 15,- DM wären anno 82 nicht überteuert gewesen! – zumindest ein +/- 0 am Ende der Tour gestanden. So ist die Desillusion doppelt tief: Nicht nur der Versuch, die schleppenden Einnahmen durch unerwartet schwache LP-Verkäufe auf Trab zu bringen, ist grandios gescheitert, die Schatten der Vergangenheit, von denen man sich musikalisch auf IV befreit zu haben schien, fordern ihren Tribut mit aller Härte. Zumindest aber haben sich die Scherben erfolgreich zurück in die Öffentlichkeit gebracht, denn künstlerisch war die Tour überzeugend und es gibt so zumindest eine Perspektive, weiter zu machen, um dann doch noch vielleicht nicht unbedingt reich zu werden, aber zumindest von den Geldsorgen loszukommen. Aber leider sollte es wieder anders kommen...

 

 

Scherben (1983)

 

Der erste Schritt der Konsolidierung nach Elsers Rauswurf aus Fresenhagen ist, Martin Pauls Freundin Claudia Roth als neue Managerin zu engagieren. Die heutige Grünen-Chefin verfügte auch schon 1982 über Organisationstalent und Durchsetzungsvermögen, so dass sich die Schwäbin alsbald im Nordfriesischen wieder findet. Schon im Mai gehen die Scherben wieder auf Tour, diese Mal auch finanziell erfolgreich. Und auch an neuem Material wird zu diesem Zeitpunkt schon gearbeitet, Gitarrist Marius del Mestre tut sich als Songwriter besonders hervor, scheint dabei aber die natürlich bestehende Hierarchie der ehemaligen Anarchoband nicht ganz richtig einzuschätzen: Obwohl seine Songs nicht schlecht sind, geht er allen anderen so lange damit auf die Nerven, bis er „ehrenvoll aus der Truppe entlassen wird“. Bis Ende des Jahres hat die Band 22 Demos aufgenommen, die per Abstimmung auf 14 reduziert werden müssen. Sechs der Songs, die diesem Votum zum Opfer fallen, erscheinen später auf der Raritäten-CD Was Bleibt, der siebte, Sei Mein Freund, auf der Compilation 18 Songs aus 15 Jahren 2005. Das letzte Demo Auf fremden Pfaden bleibt unveröffentlicht, erscheint aber als Neubearbeitung (mit Rios Original-Gesang) auf den CDs Nachtfalter von Kai Sichtermann und Auswahl I. Die „Gewinner-Titel“ werden zwischen Januar und März 1983 in Fresenhagen aufgenommen, allerdings nicht im eigenen Studio, sondern mit Conny Planks mobilen Studio und dem ehemaligen Sex Pistols- und Toten Hosen-Tontechniker Jon Caffery an den Reglern. Unter dem schlichten Titel Scherben erscheint die fünfte  - und letzte – Ton Steine Scherben LP im März 1983. Nach drei Doppel-LPs schließt sich quasi ein Kreis: Wie das Debüt hat auch der Schwanengesang der Scherben wiederum nur zwei Seiten.

 

Die Platte ist insgesamt die uneinheitlichste im gesamten Scherben-Werk. Von den mystischen Experimenten des Vorgängers ist wenig übrig geblieben. Gleich das erste Stück Wo Sind Wir Jetzt ist durchaus programmatisch: „Ich hör’ große Worte / Aber ich weiß, da is’ ’ne Bombe in der Torte“. Aber genau wie Hau Ab, Verboten oder La Reponse überzeugt das Stück durch gradlinigen Scherben-Rock. Überhaupt muss man sich hüten, diese Platte immer an der – natürlich sehr eingängigen – Single Auskopplung Lass Uns’n Wunder Sein zu messen und sie als Anbiederung an den Pop abzuurteilen. Neben den veritablen Rockern gibt es auch hier musikalisches Neuland wie das merkwürdig entrückte Ardistan (der Karl May Titel dieser LP), das alptraumhaften Fieber (wieder ein Koks-Song?) und den Groove von Mole Hill Rockers, dem alten Arbeitslosenreggae. Das Songwriting liegt wieder fast ausschließlich in den Händen des erprobten Gespanns Möbius/Seitz (die Analogie zu Jagger/Richards ist wohl nahe liegender als zu Lennon/McCartney). Hier und da ist Rio auch an der Komposition beteiligt. Kai Sichtermann schreibt die Musik zu Regentag, der Text von Rio bezieht Kais und Angie Olbrichs gerade geborene Tochter Lisa mit ein. Rios Partner Misha Schöneberg, der zuerst als Organisator, dann als Lichtdesigner zur Livecrew gehört, textet Sternschnuppen und Hannes Eyber Traum ohne Stern.

 

 

Das Licht ist aus, der Traum auch

 

Ab April geht die Band wieder ausgiebig auf Tournee, diese Mal teilweise durch Fritz Rau organisiert und so finanziell abgesichert.  Der Impressario zahlt zwar drauf, die Scherben werden immer noch nicht reich, aber es bleibt zumindest etwas Geld übrig. Dafür gibt es massive technische Probleme und auch zwischen Band und Konzertveranstalter läuft es nicht reibungslos, so dass abermals hauptsächlich Frust zurückbleibt, auch wenn es musikalisch wenig auszusetzen gibt. Für del Mestre steigt Dirk Schlömer als zweiter Gitarrist ein und Britta Neander ist als Percussionistin auch wieder dabei. Immer noch spielen TSS hier und da auf Solidaritätsveranstaltungen und gehen auch für die Grünen auf Wahlkampftour, der Großteil der Gigs findet aber im „normalen“ Konzertbetrieb statt und wird auch nicht mehr laufend durch mehr oder minder qualifizierte Redebeiträge missionarischer Konzertbesucher unterbrochen. (Ausnahmen bestätigen die Regel, wie die beiden Stücke vom Konzert im Hamburger Stadtpark am 4.6.83 auf der DVD Land In Sicht beweisen...) Im Januar und Februar 1984 spielen Ton Steine Scherben – ohne Britta Neander, aber sonst unverändert – erneut eine Wahlkampftour, die Grüne Raupe durch Baden Württemberg. Diese Nähe zu den Grünen, die auf Claudia Roth zurückgeht, führt zu Spannungen in der Band. Die Managerin re-politisiert die Scherben im grünen Spektrum, die Band selbst sieht sich aber anders.

 

Zwischen Mai und Juni folgt unter dem Titel Schritt Für Schritt Ins Paradies die letzte Tour von Ton Steine Scherben, die sie auch für einen Gig mit Paco De Lucia nach Wrolaw bei Breslau in Polen führt. Die Tournee endet mit fünf Konzerten in der Berliner UFA-Fabrik Mitte Juni, von denen zwei (am 15. und 16.6.) für die späteren Live-Alben mitgeschnitten werden. Bei dieser Tour, wie auch dem allerletzten Auftritt der Band am 6. März 1985 in Saarbrücken (ebenfalls ein Konzert für die Grünen zusammen mit den Schmetterlingen) spielt Richard Herten Percussions. Der vorherige Schlagzeuger von Schröder Roadshow, mit denen die Scherben die Rau-Tour zusammen bestritten hatten, war allerdings noch nicht 1983, wie in den Credits zur Live III-CD fälschlicherweise vermerkt, dabei. Passenderweise wird bei diesem letzten Gig ausgerechnet  bei Keine Macht Für Niemand der Strom abgestellt. Diese Symbolik verdanken wir einem Hausmeister, der Feierabend haben will und nicht einsieht, Überstunden zu schieben, weil sich durch endlose Reden – mal wieder! - der Konzertbeginn verschoben hatte. Er wird überzeugt, das Konzert zu Ende gebracht – und bald darauf auch die Band!

 

Die unwiderrufliche Auflösung beschließen die Scherben nachdem sie auch mit ihrer fünften LP keine nennenswerte Verbesserung ihrer Einnahmen verbuchen können. Die neu hinzugezogene Vertriebsfirma Lewald&Motl hat „unsauber“ abgerechnet, was wiederum einen sechsstelligen Schaden verursacht. Vor Gericht bekommen die Scherben gerade mal 20.000 DM zurück, so dass die erdrückende Schuldenlast bleibt. Die Band wäre zum ersten Mal bereit, einen Deal mit der Plattenindustrie einzugehen, aber es gibt kein Angebot, dass ihren Erwartungen und Ansprüche auch nur annährend erfüllen würde. Von den Songs, mit deren Demos sie sich auf Labelsuche begeben, erscheinen übrigens drei (Alles Lüge, Junimond und Lass Mich Los) auf Rios erster Solo-LP, das vierte (Runter Zum Hafen) auf der zweiten. Abgesehen davon fühlt insbesondere Rio sich unter der Führung von Claudia Roth nicht mehr wohl. Die spätere Spitzenpolitikerin ist vielleicht die erste, die die Scherben professionell managt, aber sie übt dabei Macht und Dominanz aus, der man sich nicht länger unterordnen will. Irgendwann Ende Mai 1985 treffen sich Rio, Lanrue, Kai und Funky in der Berliner Villa von Manne Praeker und beschließen bei einem Glas Sekt die Auflösung der Band – ganz leise, einvernehmlich und endgültig. Die anderen Beteiligten werden nicht gefragt...

 

 

„Rio ging zur Sony, ich ging zum Sozi“ (Funky Götzner)

 

Rio Reiser Solo Aktivitäten begannen bereits 1983 als er erstmalig bei zwei Auftritten ganz allein mit einem Klavier auf der Bühne ist. (Teile dieser Shows, die eindrucksvolle Versionen von Scherben-Songs enthalten, sind auf den beiden posthum veröffentlichten CDs Am Piano zu hören). Im folgenden Jahr erscheint als eine erste Single Dr. Sommer, dessen B-Seite passenderweise B-Seite heißt, und die – editorisch eher unpassend – auf der CD-Neuauflage der Scherben-Kompilation Auswahl I mit enthalten ist. Der weitere Werdegang von Rio Reiser ist bereits in der German Rock News Ausgabe 07 von 1999 ausgiebig beschrieben worden. RPS Lanrue, Misha Schöneberg und Hannes Eyber begleiten den kommenden König von Deutschland noch viele Jahre. Lanrue und Rio werden zusammen die Eigentümer von Fresenhagen, wo sie bis zu Rios Tod am 20.August 1996 zusammen leben. Nachdem Rio Reiser - dank einer Sondergenehmigung der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin Heide Simonis auf dem Hof bestattet wird - wird dieser zu Pilgerstätte, Museum und Veranstaltungsort. Lanrue wandert daraufhin nach Portugal aus und züchtet Zitronen, bis 2004 ein Waldbrand seinen Hof in Schutt und Asche legt. Glücklicherweise werden die größten Teile des Ton Steine Scherben-Tonbandarchivs kurz zuvor zurück nach Berlin gebracht und so gerettet. Im folgenden Jahr söhnt sich Lanrue mit den Möbius Brüdernm die per Gesetz zu Rios Erben wurden, nach jahrelangem Rechtsstreit aus.

 

Die Schulden der Scherben werden nicht nur durch Rios anfängliche Solo-Erfolge getilgt, sondern auch dadurch, dass alle Musiker über Jahre auf ihre Lizenzauszahlungen verzichteten. Ausgerechnet Marius Del Mestre, den Rio seinerzeit mit seinem eigenen Lieblingssatz „Das ist Rock’n’Roll“ aus der Band gekickt hatte, leitete das Rio Reiser Haus in Fresenhagen bis Juni 2006 und begleitet danach Hollow Skai, dem Autoren der umstrittenen Rio-Biographie Das Alles Und Noch Viel Mehr, bei Lesungen musikalisch. Die Möbius-Brüder haben das Rio Reiser Archiv in Berlin aufgebaut und betreiben die David Volksmund Produktion weiter. Es gibt mit der Scherben Family eine Nachfolgeband, die aus Kai Sichtermann, Marius Del Mestre, Schlotterer, Martin Paul, Nikel Pallat, Angie Olbrich und Funky Götzner besteht und gelegentlich Konzerte gibt. Auch die Formation Neues Glas Aus Alten Scherben von Schlömer und – zeitweise – Funky tritt nach wie vor mit Scherben-Songs auf. Außerdem legt Dirk Schlömer mit der CD Zeitreiser : Ardistan ein Remix-Album vor, das zehn verschiedene Versionen von Ardistan enthält (basierend auf der Version von Live III). Kai Sichtermann bringt als Die Nachtfalter – Träume Tod Erinnerung eine Art Tribute-Projekt heraus und es erscheinen Coverversionen von Rio- und Scherben-Songs auf diversen Tributealben wie Familienalbum, Das Konzert Der Freunde - Abschied Von Rio, Die Erben Der Scherben, Der Traum Ist Aus/Soundtrack, Viva L’Anarchia und andere. Es gibt diverse Theater- und Filmprojekte zum Leben und Werk von Rio Reiser und Ton Steine Scherben, von denen unbedingt die Inszenierung Rio Reiser – Der Kampf Ums Paradies der Bremer Shakespeare Company zusammen mit dem Theater Strahl hervorzuheben ist. Umstritten ist hingegen die Adaption des ehemaligen Selig-Sängers Jan Plewka, der relativ fei mit dem Werk umgeht. Manchmal vielleicht etwas zu frei, denn den Text von Keine Macht Für Niemand sollte man schon beherrschen, zu mal wenn man das Stück auf DVD (Jan Plewka Singt Rio Reiser) veröffentlicht.

 

 

Live I ...II ...III / Land In Sicht (1985 - 2006)

 

Zum Zeitpunkt der Trennung Anfang 1985 erscheint das erste von bislang drei Live-Alben zunächst unter dem Titel In Berlin 1984, bei der Wiederveröffentlichung im Rahmen des Gesamtwerks heißt es der Einfachheit halber Live I. Live II kommt mehr als elf Jahre später im Juli 1996 heraus – einen Monat vor Rios Tod. Beide Alben sind ausschließlich am 15. und 16.06.84 in der UFA-Fabrik Berlin aufgenommen, enthalten neben Scherben-Klassikern aus allen Phasen der Karriere aber auch einige Songs aus Nebenprojekten, die den Weg ins Live-Repertoire der Band geschafft haben. Auf Live I sind das der Shit-Hit und Raus (Aus Dem Ghetto) vom zweiten Brühwarm-Album und Ich Will Ich Sein aus dem unglücklichen SPD-Wahlkampf-Projekt von 1976; auf Live II mit Irrenanstalt ein Song von der ersten Brühwarm LP Mannstoll. Erst auf Live III von 2006 gibt es zumindest einige Songs von Konzerten aus den Jahren 1982 und 83 und mit Jetzt Schlägt’s Dreizehn ebenfalls ein Stück, das die Scherben nie auf einen ihrer Studioalben veröffentlichten (Rio aber 1991 auf Durch Die Wand). Die interessantesten Bearbeitungen sind die von Der Traum Ist Aus (Live II), mit denen die Scherben in den letzten Jahren meist ihre Konzerte eröffneten. Nach einem Streicher-Satz als Intro (von Martin Paul komponiert) rockt dieser Song zunächst recht ungewohnt, mit mehrmaligen Hören aber sehr überzeugend. Zum Rerelease wird beiden Alben auch neue Cover spendiert, die sie in eine Reihe mit Live III stellt. Auf dieser Scheibe sind zum ersten Male auch Aufnahmen von 1982 und 83 zu hören, ältere Livemitschnitte bleiben – mit Ausnahme der vier Songs auf der Debüt-Platte – unveröffentlicht. Dafür gibt Rio den Rauch-Haus-Song solo am Klavier, wie übrigens auch auf der Live-DVD Land In Sicht, die 2002 erscheint. Sie enthält das komplette Konzert in Offenbach vom 30. Mai 1983, das außer dem Fehlen von Jenseits Von Eden keine Wünsche offen lässt. Neben den 24 Songs des Abends gibt es drei weitere Stücke aus anderen Konzerten des selben Jahres (Wo Sind Wir Jetzt ebenfalls als Rio-solo-am-Piano-Version und zwei Stücke aus dem Hamburger Stadtpark, die von endlosen Diskussionen mit dem Publikum gekennzeichnet sind), außerdem rund eine halbe Stunde Interview mit Rio und ein paar nützliche Infos.

 

 

Gesamtwerk (2006)

 

Die CD Live III erscheint zeitgleich mit der CD-Box Gesamtwerk, die als die ultimative Edition des TSS-Werkes angesehen werden muss. Die 13 CDs der Box beinhalten alle Original Studioalben, die drei Live-Platten, eine Doppel-CD mit Neuabmischungen von Songs der letzen beiden Studioalben und die CD Was bleibt – Singles Demos Raritäten. Letztere ist das eindeutig spannendste Teil dieser mit ca. 90,- EURO recht günstigen Box. Neben den schon ausführlich erwähnten Songs der ersten drei Singles von 1970 – 72 enthält sie neun unveröffentlichte Demos. Die ersten sechs davon entstanden 1982 für das letzte Studioalben, fielen aber bei der endgültigen Abstimmung durch. Die weiteren Demos sind alternative Versionen von den Songs Warum Geht Es Mir So Dreckig (70), Sklavenhändler (70), Komm Schlaf Bei Mir (72) und Kribbel Krabbel als Instrumental von ca. 1980. Allerdings weiß man von den Bonussongs auf den beiden Compilations Auswahl I und 18 Songs Aus 15 Jahren (2005 auf David Volksmund erschienen), dass die Bezeichnung Gesamtwerk nicht wirklich zutreffend ist. Wie viel auch immer mit Lanrues Haus in Portugal verbrannt ist, es gibt diverse weitere unveröffentlichte Songs der Scherben. Nicht wenige Fans würden einiges dafür geben, die im Anhang von Kai Sichtermanns Buch aufgeführten TSS-Versionen von König Von Deutschland, Bei Nacht, Alles Lüge, Dr. Sommer und andere unveröffentlichte Aufnahmen zu hören.

 

Dennoch ist diese Box so etwas wie die ultimative Edition des Scherben Katalogs. Alle Alben wurden von Udo Arndt, mit dem Rio intensiv in seiner Solo-Zeit zusammengearbeitet hatte, remastert. Trotz diverser Vertriebswechsel (April, Schneeball, EFA, Indigo, Buschfunk) waren die Scherben CDs – und auch die LPs! – zwar jederzeit verfügbar, die Überspielungen ließen aber klanglich immer sehr zu Wünschen übrig. Außerdem sind jetzt die Digipak-Cover relativ nah an den Original-LP-Artworks und zu jeder CD gibt es ein beiliegendes Mini-Poster, auf dessen Rückseite die Songtexte abgedruckt sind. Die Live-Scheiben enthalten einen dreiteiligen Starschnitt, den man so nicht unbedingt braucht, dafür sind der mitgelieferte Songindex und das Konzertverzeichnis – nicht nur bei der Recherche zu diesem Artikel! – äußerst hilfreich. Abgerundet wird die Box durch ein dickes, gebundenes Booklet mit ausführlichen Linernotes von Lanrue. Die Songs von Was Bleibt werden von Kai Sichtermann und Funky Götzner einzeln vorgestellt. Hinzukommen ein Vorwort von Lutz Kerschowski, in dem er beschreibt, wie die Box entstanden ist, und vielen seltene Fotos, die uns freundlicherweise von David Volksmund auch zur Bebilderung dieses Artikels zur Verfügung gestellt wurden. Auf der Doppel-CD Neu Gemischt gibt es schließlich insgesamt 22 Songs von IV und Scherben, die Arndt komplett neu abgemischt hat. Leider war es nicht mehr möglich, die kompletten Alben in dieser Form zu bearbeiten, weil Teile der Masterbänder tatsächlich verbrannt sind. Andererseits: wenn man die Remaster-Versionen der Alben hat, muss man diese Neuabmischungen nicht unbedingt auch noch haben. Ein nettes Schmankerl sind sie allemal, mehr aber auch nicht. Das bemerkenswerteste an dieser Box ist aber die Mitarbeit Lanrues - nach dem Konzert der Scherben Family anlässlich seines 50. Geburtstags im Januar 2005 ein weiteres Zeichen der Aussöhnung. Anfang 2007 zieht Lanrue wieder nach Fresenhagen, um dort an seinem ersten Solo-Album zu arbeiten.

 

 

Scherben Literatur

 

Im Trennungsjahr 1985 erscheint das Songbuch Ton Steine Scherben, Geschichten, Noten, Texte Und Fotos Aus 15 Jahren, herausgegeben von Dirk Nishen. Neben den Noten und Songtexten enthält das Buch Beiträge von Rio, Lanrue, Kai Sichtermann, Funky und anderen.

 

Als absolut verlässlich und spannend hat sich das Buch Keine Macht Für Niemand  - Die Geschichte Der Ton Steine Scherben, das Kai Sichtermann zusammen mit Jens Johler und Christian Stahl geschrieben hat, erwiesen. Die Bandgeschichte wird chronologisch erzählt und auch immer wieder in den jeweiligen politischen Kontext der Zeit gestellt. Sichtermann gelingt der Spagat zwischen dem Erzählen von subjektiv Erlebtem und dem Bericht der objektiven Fakten hervorragend, in dem er eine außenstehende Erzählperspektive wählt, die immer wieder von Zitaten der Beteiligten ergänzt wird. Zwischen den Kapiteln gibt es Interviews mit den Scherben-Musikern und anderen Beteiligten wie Claudia Roth, Elser Maxwell, Gert Möbius. Auch das Datenmaterial im Anhang, das teilweise für die Gesamtwerk-Box übernommen wurde, ist vorbildlich. Dieses Buch ist das unverzichtbare Standardwerk zur Band.

 

Rio Reiser hat 1994 seine Autobiographie König Von Deutschland (zusammen mit Hannes Eyber) veröffentlicht, die aufgrund ihres lakonischen, manchmal fast stichwortartigen Stils absolut lesenswert ist. Rio schreibt in einem unorthodoxen Tempo, das wohl seinem Leben angemessen war. Genauso rasant wie dieses Buch erzählt ist, hört es auch auf. Die Scherben ziehen aus Berlin weg – und Schluss! Fresenhagen, die Solokarriere? Fehlanzeige! Alles das findet in diesem Buch leider nicht statt, dafür beschreibt Reiser seine Kindheit und Jugend, die ersten Begegnungen mit Lanrue, die Theaterarbeit mit seinen Brüdern und auch sein Liebesleben ausführlich. Bis zum ersten Konzert mit den Scherben vergehen rund 200 Seiten, 100 Seiten weiter ist das Buch leider schon zu Ende. Die Lücken, die es hinterlässt, hat Hollow Skai in seiner 2006 erschienen Biographie Das Alles Und Noch Viel Mehr versucht zu füllen. Allerdings gibt es um sein Werk erhebliche Differenzen mit Rios Brüdern, die für Außenstehende schwer nachvollziehbar sind. Skai hat die menschlichen Schwächen der Person Rio Reiser, wie sie ihm berichtet wurden, nicht verschwiegen, andererseits wird ihm vorgeworfen, sich mit engen Freunden und Verwandten kaum oder gar nicht unterhalten zu haben. Insbesondere die Darstellung der letzten Lebensmonate Rios ist umstritten. Dennoch ist sein Werk ist alles andere als der Versuch, den „König Von Deutschland“ vom Sockel zu stoßen. Im Gegenteil, Skai versucht, selbst in den schwächeren Platten der Solo-Zeit noch das Kunstvolle zu sehen. Außerdem hält er sich sehr eng an Reisers Autobiographie, aus der er ausführlich zitiert – so eng, dass er sogar Schreibfehler („Atomheart Mother“ statt Atom Heart Mother) übernommen hat! Diese Biographie ist das einzige umfassende Werk über das komplette Leben des Ralph Möbius und als solches auch zu empfehlen.

 

Etwas kritischer verhält es sich mit der Textsammlung „Scherben – Musik, Politik Und Wirkung Der Ton Steine Scherben“, die Wolfgang Seidel herausgegeben hat. Der Schlagzeuger, der nur rund ein Jahr Mitglied der Band war und später als gelegentlicher Gast wiederkehrte, versucht vor allem die politische Einordnung des Schaffens. In seinen beiden längeren eigenen Beiträgen gibt es durchaus eine ganze Reihe interessanter Details, die anderswo noch nicht berichtet worden, aber in seinen Bewertungen spielt sich der Musiker oft wie ein Gralshüter der linken Grundgesinnung auf und kritisiert lehrmeisterhaft, was seiner Meinung nach (politische) Fehler gewesen seien. Oft verwischt die Perspektive, wenn Seidel, der beispielsweise nie in Fresenhagen gewohnt hat, so zu tun scheint, als ob er aus der Position eines Insiders berichtet. Dennoch hat auch dieses Buch, neben vielen Schwächen, seine interessanten Seiten. Es ist aber tatsächlich eher als Ergänzung zu den zuvor genannten Werken zu sehen.

 

 

Und das Ende vom Lied?

 

Will man heute zu einer realistischen Einschätzung der Bedeutung von Ton Steine Scherben kommen, gehören solche Aspekte natürlich zwangsläufig dazu. Es gibt keine zweite deutsche Band, die so tief und direkt mit dem politischen Kontext ihres Wirkens verbunden ist. Die Scherben haben Fehler gemacht, aber wie Seidel richtig feststellt, hatten sie niemand, von dem sie hätten lernen können. Claudia Roth meint, der größte Fehler sei die Auflösung gewesen – es war ja auch nicht ihre Idee. Aber könnte man sich Ton Steine Scherben im Jahre 2007 noch vorstellen und wenn ja, wie und wo? Aber auch wenn nicht - die Berechtigung ihrer Songs und die Richtigkeit ihrer Kritik und Visionen gehen weit darüber hinaus, nur im Zeitbezug gesehen werden zu dürfen. Ein Song wie Der Traum Ist Aus beinhaltet auch jetzt noch eine Utopie, die nichts von ihrer Schönheit verloren hat. Dass immer weniger Menschen daran glauben oder darum kämpfen wollen ist kein Beweis dafür, dass an der Idee etwas falsch wäre. Zu Zeiten von Mensch Meier haben Fahrpreiserhöhungen beinahe für Revolten gesorgt – heute regt sich kein Fünkchen Widerstand, wenn via „Teuro“ oder Mehrwertsteuererhöhung der Bevölkerung immer weniger Geld bleibt. Wir sind mehr denn je Jenseits Von Eden und dieser unübertreffliche Song bleibt ebenso von dauerhaftem Bestand wie das Gesamtwerk einer Band, die ihre Hoffnung und Überzeugung zu keiner noch so schweren Zeit aufgegeben hat. Und „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.“

 

 

Quellen:

 

Kai Sichtermann mit Jens Johler und Christian Stahl: „Keine Macht Für Niemand  - Die Geschichte Der Ton Steine Scherben“, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2000

 

Rio Reiser mit Hannes Eyber: „König Von Deutschland“ Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994

 

Hollow Skai: „Das Alles Und Noch Viel Mehr – Die Inoffizielle Biographie Des Königs Von Deutschland“ Wilhelm Heyne Verlag, München 2006

 

Wolfgang Seidel: „Scherben – Musik, Politik Und Wirkung Der Ton Steine Scherben“ Ventil Verlag, Mainz 2005

 

Ton Steine Scherben: „Das Gesamtwerk“ - CD Booklet, David Volksmund Produktion, Berlin 2006

 

Wolfram Hanke: „Anarchie Und Alltag“ in Rolling Stone 01/2005 S. 32 – 37

 

Joachim Hentschel: „Spur Der Steine“ in Rolling Stone 03/2005 S. 51 – 66

 

Ton Steine Scherben: „Guten Morgen“ - Eigenverlag, Berlin 1972 – zum kostenlosen Download auf www.riolyrics.de, wo es auch ein hervorragendes, unglaublich umfangreiches Pressearchiv zu den Scherben und Rio gibt.

 

Außerdem hilfreich: die offizielle Website www.tonsteinescherben.de

 

 

 

 

 

Bedanken möchte ich mich bei Kai Sichtermann (stellvertretend für die ganze Band – Thank You For The Music!), Nikel Pallat, den ich leider immer nur auf Beerdigungen treffe, Gert Möbius & Rainer Börner (Rio Reiser Haus Fresenhagen / Rio Reiser Archiv / David Volksmund Produktion), Ute Bierwisch (Heyne), der profunden Scherben-Kennerin Regina Sommerfeld für die Durchsicht des Manuskripts und natürlich meinen Liebsten: Heike, Luca, Kaya und Lizzy – jetzt habe ich wieder mehr Zeit für euch!

 

Lars Fischer


Und hier noch in Kurzform von Regina Sommerfeld

1970. Sommer in Berlin.
R.P.S. Lanrue, Rio Reiser, Wolf Seidel und Kai Sichtermann nehmen in einem Kreuzberger Hinterhof-Studio die Songs "MACHT KAPUTT WAS EUCH KAPUTT MACHT" und "WIR STREIKEN" auf und lassen sie unter dem Etikett TON STEINE SCHERBEN als Singles pressen. Unkosten und Vertrieb übernehmen zwei renommierte Berliner Raubdrucker.

September desselben Jahren. Ostseeinsel Fehmarn.
Ein paar Knallköppe aus Kiel sagen "Woodstock" an. Festival der Liebe. Beate-Uhse-gesponsort. Studentenfutter. Am Sonntagvormittag tritt JIMI HENDRIX auf. Sein letzter Auftritt. Fünf Stunden später: TON-STEINE-SCHERBEN. Ton Steine Scherben. Der erste Auftritt. Ohne Gage, denn die Veranstalter sind mit der Asche durchgebrannt. TON STEINE SCHERBEN haben eine Anzeige wegen Landfriedensbruch und illegalem Waffenbesitz am Hals. Nur der Name einer Band - sonst nichts. Nikel Pallat im Publikum - ein Jahr danach bei TSS.

November 1970.
Die beiden renommierten Raubdrucker haben 6000 Singles verscherbelt.Erste TON STEINE SCHERBEN Tournee.

1971. Wieder September.
Die Langspielplatte "WARUM GEHT ES MIR SO DRECKIG" erscheint. Produziert und vertrieben von TON STEINE SCHERBEN. Unter dem Label DAVID VOLKSMUND PRODUKTION.

8. Dezember 1971.
Nach einem Konzert in der alten TU-Mensa zu Berlin wird ein Teil des leerstehenden Bethanien-Krankenhauses in Kreuzberg besetzt und nach dem vier Tage vorher erschossenen Gerg von Rauch benannt.

1972. Frühjahr.
Wieder Deutschland-Tournee- Wieder Verkehrskontrollen und Leibesvisitationen. Wieder keine Waffen, keine Helme, keine Zitronen.

Advent '72.
"KEINE MACHT FÜR NIEMAND. Doppel-LP. Schlotterer spielt Flöte.

Januar. 1974.
TON STEINE SCHERBEN haben einen neuen Schlagzeuger. Funky K. Götzner. Und endlich auch einen Modeberater und Percussionisten. Vegas von Trantor (später SENDER X). Der hat auch eine 8-Zimmerwohnung. Im gleichen Haus. Das schafft Platz für Angie und Britta (später CARAMBOLAGE) und Bernhard, Ela, Egon, Ina, Jako, Lutze, Marie, Micha, Mecki und Olaf. Wenig Platz auf der Bühne und im Studio, in dem dann das dritte Scherben-Album aufgenommen wird.

Ein Jahr später. Im Juni.
"WENN DIE NACHT AM TIEFSTEN" kommt endlich raus. Werner Götz spielt Bass. In diesem JAhr, in diesem Monat verlassen die SCHERBEN Berlin.

Neunzehnhundertfünfundsiebzig. Sommer auf dem Lande. Fresenhagen/NF.
Unerträglich - Diese ländliche Stille - Wind - Sonne - Die frische Luft - Nicht zum Aushalten. Außerdem leiden einige unter kleptomanischen Reflexen. Großstadtentzugserscheinungen. Das Geld ist knapp. Die Hälfte der Umsiedler zieht's einfach zurück in die Stadt. Der harte Kern bleibt.

'76.
Nach zwei Tourneen und dem fünfhundertsten Mal "MACHT KAPUTT WAS EUCH KAPUTT MACHT" zieht sich die Gruppe ins eigene Studio zurück und arbeitet vor allem an Auftragsproduktionen. Die Kinderplatte "TEUFEL HAST DU WIND", "PARANOIA" mit ROTE RÜBE und die beiden BRÜHWARM-Alben "MANNSTOLL" und "ENTARTET" entstehen. - Verschiedene Film- und Theatermusiken.

Intermezzo '77.
Rio Reiser übernimmt in Roald Kollers Spielfilm "JOHNNY WEST" die Titelrolle und wird mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnet. Filmband in Gold. 180 g.

Neujahr 1980. Fresenhagen.
R.P.S. Lanrue, Rio Reiser, Kai Sichtermann und Funky K. Götzner raffen sich auf, wieder eine originale TON STEINE SCHERBEN-LP aufzunehmen.

22. Januar 1981.
"TONSTEINESCHERBEN IV" ist fertig.

Im Sommer.
Erster Juni. Lisa kommt als Tochter von Angie und Kai (beide Bass) auf diese Welt. Rio produziert die erste "STRICHER" Scheibe.

Jahresbeginn '82.
Erste Deutschland-Tournee nach 5 Jahren. Dazu gekommen: Martin Paul (keyboards) und Marius del Mestre (git). Martin Paul bleibt.

Frühling.
Claudia Roth. Schneewittchen übernimmt die Organisation der sieben Scherben. Und der Mai-Tour. Volle Häuser. Das Publikum hat sich weiter verjüngt. Schönes Wetter. Und zur Abwechslung sehn die Musiker auch mal was von der Gage. Misha macht Licht.

Herbst '82.
SCHERBEN sind mal wieder solidarisch. Für Nicaragua. Aber gegen Brokdorf. - Fritz Rau tritt zum zweiten Mal in Fresenhagen auf. "Wenn ich dereinst vor meinen Herrgott trete und er sagt: Fritz, das hast Du alles gut gemacht, aber warum hast du dich net um meine Lieblingsband gekümmert - die Scherben ...". Sein Monolog findet viel Anklang und so wird beschlossen, mit des Herrgotts anderer Lieblingsband auf Tour zu gehen. SCHROEDER ROADSHOW.

83 - Der Lenz ist da.
"SCHERBEN" erscheint.

Etwas später.
30 Nächte mit Schroeders und des Herrgotts Lieblingsclown. Die Mannschaften zeichnen sich auch als hervorragende Fußballer aus. Dementsprechend viele Verletzte. Auch Dirk Schlömer, der für TSS die Gitarre bedient. Britta Neander übrigens die Percussion. Christian "Rockpalast" Wagner filmt das Ganze.

Der heiße Herbst 1983.
Bei eisiger Kälte spielen TSS zur Menschenkette auf. Ulm - Stuttgart. 150 000 Menschen. Der freundliche Herbst. Im Anschluß Sightseeing durch die BRD. Mit Konzerten von Waldshut bis Lüchow-Dannenberg.

1984.
Die GRÜNEN locken wiedermal. Nach einer Woche Äppelwoi diesmal mit Spätzle. Landtagswahl in Baden und Württemberg. Richard Herten von Schroeder muß requiriert werden. Als Percussionist, Libero und Furhpark-Mechaniker.

März
Rio Reiser wird entdeckt. Anete Humpe und Gareth Jones produzieren ihn. "DR. SOMMER". Der Sommer bleibt weg.

Danach.
Wieder eine Tour durch den Frühling. Und der erste Auftritt in Polen. Wroclaw. Unzensiert. Am Ende siebenmal Berlin. Sicherheitshalber 24-Spur aufgezeichnet.

1985.
Slime, Marianne Rosenberg, Alan Woerner, Klaus Lage, Schroeder, Cochise haben jetzt schon Scherben-Songs gecovert. TON STEINE SCHERBEN beschließen, ihre eigenen Cover-Nummern rauszubringen. Am Schlesischen Tor in Kreuzberg wird die Live-LP remixt.

 

 

 

Bilder

1971

1973

1982
PR-Foto

1983

1983

1983

1983

Eintrittskarte
Bremen, 3.5.83
Sammlung Friedhelm Schäfer

Lanrue
Sammlung Friedhelm Schäfer

Sammlung Friedhelm Schäfer

Sammlung Friedhelm Schäfer

Sammlung Friedhelm Schäfer

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02.2023 in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Beate Käthner

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02. in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Beate Käthner

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02. in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Beate Käthner

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02.2023 in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Roger Michel

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02.2023 in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Roger Michel

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02.2023 in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Nicole Boschbach

Ton Steine Scherben mit Gymmick am 02.02.2023 in Wuppertal Live Club Barmen Foto: Nicole Boschbach

00 Plakat vom Ton Steine Scherben mit Gymmick Konzert am 02.02.2023

Konzertbericht

TON STEINE SCHERBEN MIT GYMMICK

Wuppertal, Live Club Barmen, 02.02.2023

 

„Keine Macht für Niemand“.  Ein T-Shirt mit diesem Aufdruck zuletzt auf La Palma (Kanaren)  von eingefleischten Fans gesehen. Kann man nicht oft genug tragen.

Wir sind fünf Personen im Alter von 48-55 Jahren, die sich diese tolle Band erstmals angeschaut haben.

Aufgewachsen mit Rio Reiser in den 80ern, ist es faszinierend, dass es diese Band heute noch gibt und wir sie live erleben durften mit Gymmick als Sänger.

Die tollen Texte. Zeitlos! Sie verbinden Jung und Alt. Das konnten wir in der ausgesprochen passenden und schönen Location Live Club Barmen in Wuppertal erleben.

Was sollen wir sagen: „50 Jahre Ton Steine Scherben“ mit Kai am Bass (Kai Sichtermann), Funky an der Cajon (Funky Götzner) und Sänger Gymmick (Tobias Hacker).

Rio Reiser lebt gefühlt weiter.

 

Dann ein überraschender Auftritt von Misha Schoeneberg und Kidd Viciouz. Es macht Spaß und wir sind überrascht, wie schnell der tolle Abend endet. Wir gehen mit dem Gefühl „Es kann jetzt einfach so weitergehen..“ nach Hause.

Danke. Danke. Danke.

Danke auch für das Teilhabenlassen an dem persönlichen Abschied von Gymmick. Danke für die persönlichen Worte. Wir haben mitgefühlt. Danke für den tollen Abend.

Machts gut. Andreas, Beate, Roger, Stefan, Nicole

 

Nicole Boschbach

 

Diskografie

Jahr vonJahr bisBezeichnungArtCover
0000 Kinder und Theatermusik: Single
0000 Singles: Single
1972 Keine Macht für Niemand Single
1973 Herr Fressack und die Bremer Stadtmusikanten (Hoffmanns Comic Teater) Single
1975 Wenn die Nacht am tiefsten Single
1976 Paranoia (mit Rote Ruebe) Single
1976 Teufel hast Du Wind (Hoerspiel von Dietmar Roberg) Single
1977 Mannstoll (mit Bruehwarm) Single
1978 Entartet (Bruehwarm) Single
1981 Tonsteinescherben IV Single
1983 Scherben Single
1983 Rock in Deutschland ( = Auswahl I, 19701981 ) Single
1984 In Berlin (live) Single
1996 Live II Single
1999 Zeitreiser: Ardistan Single

Rezensionen

In Ermangelung einer eigenen Rubrik erscheint folgende Buchkritik an dieser Stelle:

Keine Macht für Niemand von Kai Sichtermann, Jens Johler und Christian Stahl
Schwarzkopf + Schwarzkopf Verlag

Das Jahr 2000 ist für die Geschichte der Deutschen Rockmusik ein Jahr zum erinnern und nachdenken.
Vor 30 Jahren gründete sich die richtungsweisende Band Ton Steine Scherben, die - mal abgesehen von den Boots mit Sinn des Lebens - die ersten Rocksongs in Deutscher Sprache sangen und über ihre aktive Zeit hinaus als Kult glorifiziert und mystifiziert wurden.
Die beiden Protagonisten dieser Band - Rio Reiser und R.P.S. Lanrue - feierten im Januar ihren jeweils 50. Geburtstag - der eine in Portugal, der andere im Jenseits.
Anlass genug also, über Pioniere & Personen, Werk & Wirken, Impulse & Interpretationen zu diskutieren.

Den Anspruch einer kritischen Reflektion hatten die Autoren Kai Sichtermann (Gründungsmitglied und Bassist bei den Scherben), Jens Johler und Christian Stahl scheinbar nicht, als sie ihr Buch Keine Macht für Niemand - die Geschichte der Ton Steine Scherben im Mai veröffentlichten (erschienen beim Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf). Auf 300 Seiten finden sich vielmehr Innenansichten einer Gruppe, die sich einst dem gescheiterten Traum hingab, zusammen zu arbeiten, zu leben und zu lieben. So erfährt der Leser neben Klatsch & Tratsch einige Anekdoten über LP-Entstehungsgeschichten, Tour-Alltag oder wer-mit-wem-Stories. Zu viele Fragen bleiben offen, zu viele Lücken oder (bewusste?) Kürzungen verklären den Blick zurück. Viele Fotos, darunter ein paar seltene, stillen die Neugier.

In Interviews kommen Zeitzeugen zu Wort: Gert Möbius ("Der Bruder"), Nikel Pallat ("Der Versorger"), John Banse ("Der Jünger"), Jörg Schlotterer ("Der Berater"), Funky K. Götzner "Der Drummer"), Angie Olbrich ("Die Scherbenbraut"), Hannes Eyber ("Scherbe auf Zeit"), Misha Schöneberg ("Der Freund"), Martin Paul ("Der Keyboarder") und Claudia Roth ("Die Grüne"). Manche Äußerungen haben in ihrer Gesamtkonzentration den Eindruck einer Abrechnung, wobei natürlich Redundanz zum Multiplikator wird. Deutlich wird die Zerrissenheit von Rio Reiser, der sich wie ein breiter roter Faden durch das Buch zieht, obwohl sie ihn doch gerne abschütteln möchten.Keine Macht für Niemand ist ein widersprüchliches Buch, das auf eine kritische Leserschaft stößt und dort kontrovers disputiert wird. Es ist zur gleichen Zeit ein Buch, das sehr viel über eine Deutsche Rockband und deren Umfeld aussagt. Ein Buch, das sich lohnt!

Musikalisch findet eine Art "Inkarnation" in Form von Neues Glas aus alten Scherben (Scherben- und Reiser-Musiker unterschiedlicher Generationen) statt, begleitet von Freunden und Feinden, Skeptikern und Enthusiasten. Ein durchaus zu begrüßender Effekt ist zumindest, dass Ton Steine Scherben und Rio Reiser mediale Aufmerksamkeit bekommen, auch wenn hier manche Stelle vom Saulus zum Paulus mutiert. Viel wichtiger ist die Weitergabe von Impulsen, vielleicht auch Idealen, an die heutige Jugend.

Eine andere Art, mit musikalischen Vorbildern umzugehen, präsentiert die Bremer Band Die Flut, welche seit 1996 Reiser-Songs mit klassischen Instrumenten interpretiert. Ihre erste 5-Track-CD mit dem Programmtitel In Memoriam - Rio Reiser setzt das um, was Rio Reiser immer gefordert und gefördert hat: Seine Songs benutzen, sich damit auseinandersetzen, für sich selbst was draus machen und Eigendynamik entwickeln. Die ersten Hörerlebnisse sind gewöhnungsbedürftig, aber vor allem eigenständig und ehrlich.

Man darf gespannt sein, was uns dieses Jahr noch vertont, versteint und verscherbelt wird auf unserer Reiserroute ...[Regina Sommerfeld]


TON STEINE SCHERBEN & RIO REISER:Auswahl I - Klassiker & Raritäten (2001, East West records GmbH 8573-86256-2)
Anlässlich des 30 jährigen Jubiläums der Deutschrock-Legende Ton Steine Scherben gibt es ein eindrucksvolles Wiederhören mit einigen bekannten & beliebten Songs der Band. Das Album erschien erstmals 1981 unter dem Titel Rock in Deutschland Vol. 3 als erste und bis heute einzige Best-Of-Compilation der Scherben überhaupt. Es war die harterkämpfte Ernte einer geduldigen und mühevollen Saat, die Wolfgang Michels als Freund der Scherben setzte, um der finanziell desolaten Band endlich einen anständigen Plattenvertrag mit Telefunken bzw. Teldec zu ermöglichen. Zwei Jahre später erschien das gleiche Konzept, das von Michels und den Scherben gemeinsam erarbeitet worden war, als Auswahl I - 1970-1981 und wurde für unzählige Hörer eine Einstiegsdroge in die Welt der ehrlichen, kraftvollen und emotionalen Songs von Ton Steine Scherben. Die LP verkaufte sich sehr gut, so dass die Plattenfirma East West, die Teldec mittlerweile übernommen hatte, im Zuge des CD-Booms 1990 die große Vinylplatte als kleine Silberscheibe herausbrachte. Doch der Sound war schwach, viel zu leise für die nicht nur in akustischer Hinsicht lauten Statements. Zudem war das Beiheft zur CD, welches diesen Titel gar nicht verdient, extrem lieblos. Erst zehn Jahre später bekam der richtige Mann die Chance, das Album mit einer kleinen Auswahl von großen Songs zu überarbeiten. Es war erneut Michels, selbst Musiker, Texter und Komponist, der die Original-Bänder digital remastern ließ und ein ordentliches Booklet mit Scherben-Story, seltenen Fotos und allen Songtexten für selbstverständlich hielt.
Am 12.2.2001 erschien die CD mit vielen Extras: Dass nun auch der Name Rio Reiser auf dem Cover auftaucht macht Sinn, denn noch immer wissen viele Leute nicht, dass er - der spätere König von Deutschland - einst der Frontmann, Sänger und Texter dieser einmaligen Musikgruppe war. Das CD-Layout erinnert an die erste Scherben-Single Macht kaputt, was Euch kaputt macht (1970) und wenn man die CD herausnimmt, sieht man Scherben bevor man sie hört, denn die innere Rückseite ist hinterlegt mit dem bekannten Poster einer zerspringenden Scherben-Single. Tolle Idee! Die schönsten Extras sind jedoch drei Bonustracks am Ende der Original-Titelfolge, welche dokumentieren, wie die Geschichte weiterging.
Das Album beginnt mit den Live-Aufnahmen von Warum geht es mir so dreckig (1971) und Mein Name ist Mensch von 1970 in einer Demo-Version, die in einer Berliner Turnhalle aufgenommen wurde, was vor allem dem Gesang eine spezielle Akustik verleiht. Aber auch das Solo vom Gitarren-Genie R.P.S. Lanrue hat etwas besonderes.
Mit Humor und reichlich Ironie verpackte Gesellschaftskritik und politische Aussagen präsentieren Lieder wie der Rauch-Haus-Song und Guten Morgen, letzteres sollte man unbedingt bis zum allerletzten Ton hören. Sie gehören zu den Klassikern, ebenso wie die geballte Hoffnungs-Power Wenn die Nacht am tiefsten und die Ballade gegen Depressionen Halt Dich an Deiner Liebe fest, beide aus dem Jahr 1975.
Echte Raritäten sind die beiden ersten Songs von Ton Steine Scherben, die sie 1970 aufnahmen und eigenhändig vertrieben: Macht kaputt, was Euch kaputt macht beginnt mit einer bedrohlichen Tonfolge, die einem das Blut in den Andern gefrieren lässt - a-e-es-h-d-c! Mit diesem diabolischen Riff und der Beschwörungsformel im Refrain setzten sie ihr Konzept von der Musik als Waffe um und lieferten den Soundtrack für eine ganze Generation in ihrer Unzufriedenheit mit der Gesellschaft. Die B-Seite dieser Single hieß Wir streiken und war ebenfalls Programm.
Einen kleinen Eindruck des skurrilen Scherben-Albums IV (Die Schwarze) vermittelt das KribbelKrabbel-Leid eines Mannes.
Das Original-Album endet mit einer neu eingespielten Version des wohl größten Parolen-Hits der Scherben Keine Macht für Niemand, das 1981 frecher und härter klang als 1972. Im neuen Soundgewand von 2001 ist es derart dynamisch, dass man dem Song seine zwanzig Jahre absolut nicht anmerkt.
Es ist schon ein krasser und sicherlich bewusst eingesetzter Gegensatz, wenn man nach diesem Rocker einen traurig-trotzigen Rio Reiser alleine am Piano hört. Seine B-Seite ist eben genau diese seiner ersten Solo-Single Dr. Sommer von 1984. Das ist ein für jene Zeit sehr moderner Song mit mehrdeutigem Text. Auch wenn er damals floppte, so ist er aus heutiger Sicht um so typischer für Rio und in Fankreisen ein viel gesuchtes Objekt der Begierde. Nun können sie sich zurücklehnen und genießen ...
Doch bevor er diesen Schritt in die Solo-Karriere wagte, nahmen Ton Steine Scherben 1982 ein Demo auf, das erst 1998 musikalisch vollendet wurde - Auf fremden Pfaden und da "kommen Gefühle in endlosen Schübe, von drüben, von ganz weit her" ... Selten hat man Rio Reiser so intensiv und intim hören dürfen. Da atmet einer in tiefen Zügen, der rein physisch nicht mehr atmen kann, und die Scherben-Musiker spielen dazu wie in Trance.
Die "neue" Auswahl I ist nicht nur für bekennende Scherben-Fans, wie es die Autorin ist, eine blanke Freude, sondern vor allem für zweifelnde oder neugierige Gemüter, die mit der Agitrock-Band der 70er Jahre bisher nichts anfangen konnten. Die Reaktionen in der Presse und im Handel sind überwältigend positiv, was nicht zuletzt an dem Wahnsinnssound und der guten Aufmachung liegen dürfte. Als persönliche Schlussbemerkung: Vielen Dank an den bescheidenen Produzenten dieser meisterhaften Neu-Auflage meines ersten Scherben-Albums!
[Regina Sommerfeld]

Interviews

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Danke [jg]

Musiker

1971

Kai Sichtermann - b

Sichtermann, Kai

1951 geboren als Sohn eines Juristen und einer Malerin
1968 Abbruch der Schule. Begabtenprüfung an der Musikhochschule Lübeck
Drei Semester Musikstudium Trompete / Klavier
1969 Mitglied von Hoffmanns Comic Teater in Berlin
1970 Gründungsmitglied und Bassist von Ton Steine Scherben.
1974 verläßt er die Scherben für zwei Jahre zwecks Reisen und kunstkeramischer Arbeiten (Kunst am Bau)
1981 Geburt seiner Tochter durch seine Lebensgefährtin Angie Olbrich (ex-Carambolage)
1985 Nach Auflösung der Scherben freier Musiker, Gastronom, Kaufmann, Autor.
1998 Gründung der Nachtfalter
[Quelle: Presseinfo]

R.P.S. Lanrue - g, d

Lanrue, R.P.S. (Ralph Peter Steitz)

Zu hören auf Rio Reisers Soloalben.
Gründungsmitglied der Ton Steine Scherben

Rio Reiser - v, g, key

Reiser, Rio

7 (1999)

Wenn man die Geschichte des Künstlers Rio Reiser aufschreiben möchte, muß man früh anfangen, ja sogar vor seiner Geburt beginnen. Durch kunstbeflissene Eltern, die passioniert im Kirchenchor sangen, floß schon eine gehörige Portion Musik im Blut des Jungen, der am 9. Januar 1950 in Berlin, an einem kalten, klaren Wintertag als jüngster von drei Brüdern das Licht der Welt erblickte und Ralph Christian Möbius getauft wurde.Wie die Geschichte weitergeht, kann und soll hier nicht detailliert erzählt werden, denn das hat der Hauptdarsteller, Rio Reiser, selbst bereits vortrefflich getan: In seiner 1994 erschienenen Autobiographie (siehe Literatur).

Doch der Solokünstler Rio Reiser konnte nur entstehen durch das, was vorher war. Musikalisch angefangen hat der Werdegang in Nürnberg (eine von vielen Reiserstationen) mit einem obsessiven Kindheitserlebnis mit der "Ben Hur"-Filmmusik von Miklos Rosza und der rauschenden Entdeckung des Klaviers als Zwölfjähriger. Klein-Möbius lernte schnell, Lieder nur nach dem Gehör nachzuspielen und zu improvisieren. Der Klavierunterricht brachte dagegen nicht die gewünschten Effekte. Ein Jahr später brachte er sich selbst mit Hilfe einer Grifftabelle das Gitarrespielen bei. Mit 15 Jahren bekam Ralph "im Rahmen einer intergalaktischen Jugendweihe" von dem Maler Blalla W. Hallmann den Vornamen Rio. Wenn schon nicht konfirmiert, so doch wenigstens geweiht ... Nachdem er die Schule und eine Fotografenlehre abgebrochen hatte, besuchte er das Offenbacher Konservatorium und lernte Cello, das er später auch schon mal live auf der Bühne spielte (z. B. im Mai 1986 in der ZDF-Rockpop-Musichall am Ende des Songs "Junimond").

Im Januar 1966 lernte er im Alter von 16 Jahren in Niederroden (Hessen) den gleichaltrigen Lanrue kennen, der damals noch Ralph Peter Steitz hieß und Schlagzeuger der Band "Beatkinks" war, zu der Rio bald als Sänger kam. Man spielte vor allem Songs der Vorbilder Beatles und Rolling Stones nach. So geschult folgte er seinen älteren Brüdern nach Berlin, wo die Gebrüder Möbius - nun komplett - an der wahrscheinlich ersten Beat-Oper der Welt arbeiteten. Der siebzehn Jahre junge Rio schrieb die Musik zu "Robinson 2000", das am 2. Juni 1967 im Theater des Westens in Berlin uraufgeführt wurde.

1968 wurde Rio Hauskomponist der Berliner Theatergruppe "Hoffmanns Comic Teater", die seine Brüder gegründet hatte. Dort spielte er auch eifrig mit, wie bei dem Stück "Rita und Paul" im Auftrag der Experimenta 1969. Ein Song aus diesem Masken- und Rollenspiel mit dem alternierenden Konzept von Song und Szene hieß "Macht kaputt, was Euch kaputt macht", der später zum Kampf-Motto Teile ganzer Generationen werden sollte.

Rio aber fühlte sich beim Theater nicht richtig aufgehoben, sein großer Traum und seine wahre Ambition war es, eine Band gründen und Rockmusik mit deutschen Texten machen. So tat er sich im Sommer 1970 mit seinem Freund Lanrue, der mittlerweile Gitarre spielte, Kai Sichtermann, dem Rio flugs das Bassspielen beibrachte, und dem Schlagzeuger Wolfgang Seidel zusammen, und in einer gemeinschaftlichen Sitzung einigte man sich auf den Bandnamen "Ton Steine Scherben", später liebevoll "Die Scherben" genannt.

Den ersten Live-Auftritt hatten sie dann noch im selben Jahr bei dem sagenumwobenen (Jimi Hendrix letzter Auftritt!) "Festival der Liebe" auf Fehmarn im September 1970. Die Kieler Veranstalter brannten mit der Kasse durch, und Rio war sich nicht zu schade, den mittlerweile legendären Satz "Man sollte den Veranstalter ungespitzt in den Boden hauen" ins Mikro zu rufen. Dann spielte die Band "Macht kaputt, was Euch kaputt macht", die allererste und richtungsweisende Scherben-Single. Später brannte die Festival-Bühne, noch später erstrahlte ein Feuer am deutschen Rockmusik-Himmel. 1971 kam die erste Scherben-LP "Warum geht es mir so dreckig?" heraus, die noch über linke Buchläden vertrieben wurde. Das neue und besondere war, daß sie unter dem eigenen Label "David Volksmund" erschien.

1972 erschien das bekannteste, beliebteste und bedeutungsvollste Scherben-Album "Keine Macht für Niemand", das eigentlich keiner Worte bedarf. Ein jeder Rockfan wird es in seinem Plattenschrank haben. Titel wie "Der Traum ist aus", "Rauch-Haus-Song" oder "Keine Macht für Niemand" gingen in die Zeitgeschichte ein. Da fand sich jenes Lebensgefühl, das eine ganze Generation prägte, eine Utopie, wie sie der Jugend gefiel, an die sie glauben konnte. "Denn für Ton Steine Scherben und später Rio Reiser haben die Kids & alten Traumkämpfer doch nicht geschwärmt, weil die Jungs da oben auf der Bühne aber sooo was von süß waren, sondern doch weil die Songs und Inhalte etwas mit der realen, konkreten Lebenssituation zu tun hatten, Hoffnung & Mut machten.", so ein Zeitzeuge. Alle Songs auf der LP wurden von Rio getextet und von Lanrue komponiert, und das sollte bis auf wenige Ausnahmen auch die nächsten Jahre so bleiben. Rio Reiser war als Sänger von Ton Steine Scherben mit der Erste, der Rockmusik in deutscher Sprache sang! Das Multitalent spielte auch Gitarre und Keyboards, sowohl im Studio als auch live auf der Bühne.

Anfang Januar 1974 übernahm Funky K. Götzner die zuvor wechselnde Schlagzeugerrolle und füllte sie mehr als 10 Jahre in bester Manier aus. Ein Jahr später zogen die Bandmitglieder und ein Teil des großen Freundeskreises von Berlin nach Nordfriesland, wo sie sich in dem verschlafenen Kaff Fresenhagen ein altes Bauernhaus auf- und einrichteten. Zuvor erschien das dritte Album "Wenn die Nacht am tiefsten" mit starken Songs wie "Land in Sicht" oder "Halt Dich an Deiner Liebe fest".
Es folgten zwei Tourneen, bei denen die Band merkte, daß sie für das Publikum immer mehr zu einer politischen Musikbox wurde. Speziell Rio als Texter, Sänger und Frontman hatte seine Probleme damit, und er wünschte sich manchmal, gewisse Songs nie geschrieben zu haben. Bei Auftritten flogen Bierdosen oder Toilettenpapier auf die Bühne, wenn die Revoluzzer-Songs nicht gespielt wurden. Selbst wenn sich die Band dazu hergab, grölte das Publikum immer weiter, während schon längst andere Stücke gespielt wurden.

Die Scherben hatten sich in ihrem Haus ein eigenes Tonstudio aufgebaut, wo sie ab 1976 an Auftragsarbeiten werkelten. Rio hatte die Musik für zwei Kinderhörspiele (mit "Rote Rübe") komponiert, sowie zu drei Kindertheaterstücken ("Martha die letzte Wandertaube", "Feuerzirkus" und "Struwwelpeter Revue"). Oft und immer wieder schrieb er Schauspielmusiken, zum Beispiel zu "Moritz Tassow" am TAT (Theater am Turm) in Frankfurt.

Nach fünf Jahren entschlossen sich Rio, Lanrue, Funky und Kai, die Scherben wieder aufleben zu lassen und eine neue LP einzuspielen. Die "IV" - auch "Die Schwarze" genannt - erschien 1981 und bestand aus zwei prallgefüllten Scheiben mit skurrilen, phantasievollen Songs. Dieses Album war und ist einmalig in der deutschen Musikszene, und einige Rezensoren ließen sich gar dazu hinreisern, es "New Wave" zu nennen. Der Titel "Jenseits von Eden" blieb für Rio all die Jahre ein Meilenstein. Eine nette Besonderheit aller Scherbenplatten war eine regelmäßige Hommage an die beiden Inspirationsquellen Bibel und Karl May. So finden sich auf jedem Album neben Songs mit politischen oder gesellschaftskritischen Aussagen auch immer Songs mit christlichen Themen.

1981 ereignete es sich auch, daß Rio Reiser musikalisch und schauspielerisch bei dem Theaterstück "Märzstürme" von Hoffmanns Comic Teater in Unna mitwirkte. In einer Befreiungszene sang er erstmals das ursprüngliche Revolutionslied (!) "Auf einem Baum ein Kuckuck saß" von 1848.

Im Jahr 1982 war es, als der Mann mit dem alliterierendem Künstlernamen in dem Dokumentarfilm "Halt Dich an Deiner Liebe fest" die Parabel vom Pudding im Kühlschrank erzählte (frei nach Wolfgang Neuss), die sehr bezeichnend für sein Leben ist: "Wenn Du an den Kühlschrank gehen möchtest, weil Du weißt, da ist noch ein Pudding, dann bist Du vielleicht stolz, daß Pudding im Kühlschrank ist, Du ihn aber nicht ißt. Wenn aber gar kein Pudding im Kühlschrank ist, ist es keine Leistung, auf ihn zu verzichten. Ich könnte die Leistung gar nicht bringen, weil ich keinen Pudding im Kühlschrank habe, aber auch nicht drauf verzichten kann. Hm, was machen wir denn da?" Armer Rio Ohnepudding ...

Ein sehr wichtiges Jahr, speziell für Rio Reiser, war 1983. Ton Steine Scherben (mit Neumitglied Martin Paul an den Tasten) brachten ihr fünftes Studioalbum heraus, das schon eine gewisse poppige Färbung zeigte. Gemeinsam mit der deutschen Rockgruppe Schroeder Roadshow und dem Clown Eisi Gulp ging die Band auf eine Tournee, die von Fritz Rau organisiert wurde. So "väterlich", wie das in der Legende oft darstellt wird, war die Beziehung allerdings nicht. Rau fand erst durch die Überredungskunst eines Hamburger Musikers den Weg zum Scherben-Haus in Fresenhagen. Die Auftritte und der Touralltag wurden in dem Dokumentarfilm "Allein machen sie Dich ein" (auch unter "Heut' nacht oder nie" bekannt) festgehalten.

Gleichzeitig arbeitete Rio - nicht zum ersten Mal - für andere Künstler: So hatte er zum Beispiel englische Texte seines Hamburger Kollegen Wolfgang Michels ins Deutsche übersetzt, was ein enormes Vertrauen voraussetzt, welches Michels nur Reiser gegenüber hatte. Die beiden schrieben zusammen an die zwanzig Songs, doch diese Künstlerfreundschaft führte auch zu Neidern der unterschiedlichsten Art.
Am Ende des Jahres trat Rio dann erstmals solo auf, allein am Flügel. Es war ein denkwürdiges Konzert in der Hamburger Kampnagel-Fabrik, bei dem er keine Scherben-Songs spielte, sondern Lieder von Hans Albers und Marlene Dietrich, Rolling Stones und Chuck Willis, Wolfgang Michels und eigene Kompositionen. Schon hier zeigte sich die beachtliche Vielseitigkeit des Rio Reiser und seine musikalische Stärke.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß Anete Humpe, die Rio aus alten WG-Tagen und noch vor "Ideal"-Zeiten kannte, auf ihn zukam und im Frühjahr 1984 die erste Solo-Single mit Rio Reiser produzierte. Sie hieß "Dr. Sommer", was sich weniger auf den bravorösen Pseudo-Sexperten bezog, sondern auf die Jahreszeit, vielleicht auch einfach nur eine Sehnsucht nach Wärme beschrieb. Aus heutiger Sicht ist dieser Song ein typischer Reiser, doch zur damaligen Zeit wurde ihm die "Wandlung" vom Polit-Rocker zum Pop-Softie nicht abgenommen, doch Rio wollte diesen Song, weil es ihm so gefiel.

Die hartgesottenen Scherben-Fans schienen ihm diesen scheinbaren Fehltritt noch einmal zu verzeihen, denn als die Band im gleichen Jahr ihre letzten Live-Konzerte gab - zum Schluß sieben mal in Berlin - war die Zu-Stimmung im Publikum überwältigend, auch wenn man nach Verantwortung von Band & Fans fragen mußte, da Rio die Kerze an beiden Enden anzündete, das fatale Feuer hieß Cortison.
1984 entstanden bereits Demos von "Alles Lüge" (als Reggae-Version), "Junimond", "Laß mich los" oder "Runter zum Hafen". Und es gab Verhandlungen mit der Plattenfirma WEA, welche die Scherben gerne unter Vertrag nehmen wollte. Der fertige und unterschriebene Vertrag wurde kurzerhand zerrissen.

Ein Jahr später, 1985, trennten sich Ton Steine Scherben nach 15 Jahren in gegenseitigem Einvernehmen. Sie hinterließen der Nachwelt ein Lebensgefühl und sich selbst einen finanziellen Scherbenhaufen, Schulden mit vielen Nullen vor dem Komma. Tja, nicht in jeder Beziehung bringen Scherben Glück, auch Unabhängigkeit hat ihren Preis.

Rio arbeitete erstmal wieder mit Wolfgang Michels zusammen, und sang auf dessen Album "Bei Mondschein" die Backing Vocals, erstmalig (für einen anderen Interpreten) und unverkennbar. Es war und ist nicht selbstverständlich, daß ein professioneller Musiker von Rios Format einen Kollegen unterstützt, sich mal eben ans Klavier setzt, hier und da die Gitarre schwingt und für mehr als einen Song wunderbare Chöre einspielt. Rio war auch Co-Produzent und Co-Texter bei diesem Album.

So sehr Rio diese Kooperation auch mochte, er brauchte Geld. Er fühlte sich verantwortlich für die Schulden der Band, verantwortlich auch seinem Beruf gegenüber. Während die restlichen Scherben-Mitglieder in eigenen oder anderen Projekten weiter Musik gemacht haben und fünf Jahre lang auf ihre Tantiemen verzichteten, holte sich Rio einen Vorschuß von seiner neuen Plattenfirma CBS (später Sony). Er konnte "eine Platte machen, die mir gefällt", ohne Zensur. Ob er sich dabei verkauft oder prostituiert hat, vermag man von außen nicht zu beurteilen.

1986 wurde für Rio Reisers Solokarriere das musikalisch erfolgreichste Jahr. Mit "Rio I." erschien sein erstes Solo-Album, auf dem so branchenbekannte Namen wie Peter Weihe (Gitarre) und Curt Cress (Schlagzeug) auftauchten.

Die erste Single-Auskopplung "Alles Lüge" (5/86) war und wurde ein Gassenhauer, wie ihn Rio liebte, auch ein geflügeltes Wort, bis heute. Der Titel wurde bereits 1977 geschrieben und gespielt für den SPD-Wahlkampf. Eine sehr treffende Promotion lieferte Rio nun in Form einer erfundenen Biographie, unter die er schrieb, daß sein damals aktueller Titel "Alles Lüge" hieß. Die Öffentlichkeit schaute blind in den ihr vorgehaltenen Spiegel. Bis auf den heutigen Tag wird aus dieser phantasievoll ausgedachten Biographie ganz ernsthaft zitiert. Dieser Song ist ein ebenso typischer Reiser- wie auch Scherben-Song, und die nächste Scherben-LP, wenn es sie denn gegeben hätte, sollte - na? genau! - "Alles Lüge" heißen.

Die nächste Single war "Junimond" (8/86), eigentlich kein Liebeslied, wie oft angekündigt, sondern ein trotzig-trauriges Lied über das Ende einer Liebe, gesungen mit einer sympathischen Schnoddrigkeit. Auch hier gab es keinen großen Bruch zur musikalischen Vorgeschichte, denn Balladen hatten Ton Steine Scherben auch - und durchaus erfolgreich - intoniert.

Genauso war die dritte Single-Auskopplung "König von Deutschland" (10/86) ein alter Song von 1976 (laut "Sound Check 1/87"). Er wurde nur aktualisiert und ein bißchen poppiger gemacht. Dieser Titel wurde Rio Reisers größter Hit. Auch wenn ihm die Rolle gefiel und er sie tief verinnerlicht hatte, Fans und Medien reduzierten ihn darauf. Leider, denn Rio hat ja auch andere Songs geschrieben als nur diesen, gute, bessere, viel bessere. Pressevertreter fragten trotzdem immer wieder nach ersten Amtshandlungen als König, aber niemand fragte, warum er nicht Kanzler von Deutschland werden wollte. Rio hatte sich sehr bewußt für den König entschieden, denn es sollte ein modernes, gesellschaftskritisches Märchen sein. Ein Märchen für das Volk, denn jeder, der dieses Lied (mit-)singt, macht sich selbst mit den Worten "Wenn ich König von Deutschland wär" ein Lied lang zum augenzwinkernden Schneekönig. Natürlich wollte Rio nie König sein, sondern "entweder alle oder keiner, oder jeden Tag 'n anderer" war seine Devise. Es war also 1986 die gleiche Moral wie zehn Jahre zuvor, aber es erreichte nicht mehr nur eine eingeschworene Fangemeinde, sondern ein Massenpublikum, was erstgenannte kritisierte.

Bei dem Angriffspunkt, daß Rio Reisers Solo-Platten zu seicht seien, muß man einfach berücksichtigen, daß man Mitte der 1980er Jahre nun mal andere Instrumente benutzte als 1972, und daß auch mit moderneren technischen Möglichkeiten produziert wurde. Es war die Spätzeit des Punk, und viele waren "enttäuscht, ja regelrecht entsetzt über den glattgebügelten phantasielosen Sound seiner Platten", so ein Zeitzeuge. Was blieb, und das ist wirklich wesentlich, waren Rios Texte und sein Gesang, der die Glätte der Musik aufrauhte, Ecken und Kanten bot, auch schon mal bewußt dreckig klang. Rios musikalisches Talent lag uneingeschränkt in der Stimm- und Meldodieführung.
Sein Timbre, diese unvergleichbare Stimme war es auch, die das Liebeslied "Für immer und Dich" (11/86) zu einem ganz besonderen Stück machten. In nur fünf Minuten finden sich Kraft und Schwäche, Zärtlichkeit und Wut, und mit seiner wandelbaren Stimme unterstrich er - besonders bei diesem Lied - immer die Aussage des Textes. Es war genau diese Intensität, die Rio Reisers Gesang ausmachte und damit eine Qualität ohne Maßstab war.

Immerhin muß er gewissen Menschen so imponiert haben, daß sie den barfüßigen Barden im Alter von 36 Jahren und nach 15 Jahren als Frontman einer Rockband, zum Newcomer des Jahres wählten. Alle Achtung! Apropos barfuß: Rio Reiser hatte sich irgendwann entschlossen aus Gründen der Erdverbundenheit und als Markenzeichen, eine Alltagsangewohnheit auf die Bühne zu übertragen, indem er immer barfuß auftrat.
So auch bei seiner ersten Deutschland-Tournee als Solist im September und Oktober 1986. Bei der Zusammenstellung seiner Live-Band griff Rio auf bewährte Scherben-Musiker wie R.P.S Lanrue (Gitarre) und Martin Paul (Keyboards) zurück. Die Bühnenmannschaft komplettierten Jochen Hansen (Bass), Sievert Johannsen (Gitarre) und Toni Nissl (Schlagzeug).Im Juli '86 beteiligte Rio sich an einem Anti-AKW-Allstars-Konzert in Burglengenfeld, wo er am Ende des ersten Tages eines seiner Lieblingslieder sang, so krächzend und sanft zugleich, wie man es nie wieder hören wird: "Somewhere over the rainbow", solo am Klavier.

Im darauffolgenden Jahr, 1987, war es schwer, den Erwartungen von Publikum und Kritikern gerecht zu werden. Man hatte eine Schublade aufgemacht und den falsch verstandenen "König von Deutschland" hineingetan. Nun sollten viele kleine Monarchenkinder folgen.
Die Single "Blinder Passagier" (8/87) wurde denn auch ein passabler Nachfolger, der König ein Kapitän und Deutschland ein sinkendes Schiff. Daß es dennoch kein reines Seemannslied war, blieb vielen Hörern verborgen, aber das Video zeigte alles (war und ist im kommerziellen TV verboten). Trotzdem war die Seefahrt das beherrschende Thema von Rio Reisers zweitem Solo-Album "Blinder Passagier", weil es für ihn schon immer ein reizvolles Bild war, das Leben als Seefahrt zu betrachten.

Die zweite Single-Auskopplung der LP hieß "Manager" (1/88) und folgte stilistisch der Gassenhauer-Linie. Rios Beraterteam aus Freunden und dem Manager höchstpersönlich hatten ihm von diesem Titel abgeraten, zumal er "so viele wunderbare andere Demos für seine zweite Platte" hatte, wie ein Berater von damals verriet. Doch Trotzkopf Rio wollte den Song nun erst recht und glaubte auch an ihn. Der Song war genauso ironisch und witzig wie der König ein Jahr zuvor und wurde genauso mißinterpretiert. Noch Jahre später muß man vom "Loblied" oder der "Hymne" lesen. Nein, genau das war es nicht. Auch wenn Rio mit seinem Manager George Glück (huch, noch eine Alliteration) gut auskam, so ist doch die wichtigste Zeile in dem Lied: "Und rat mal, wer wohl so 'ne Texte schreibt - Mein Manager erledigt das für mich".

Gerade diese Irrungen und Wirrungen waren es doch, die Reisers Texte von anderen abhoben. Er hatte bereits als kleiner Junge eine Zeitung namens "Quetzacoatl" herausgegeben, in der er seine Liebe für Wortspiele auslebte. Und in einem Interview im Hessischen Rundfunk begründete er 1987, warum er seine Lieder nicht auch in Englisch schreibt und singt: "Ich kenne die Feinheiten der Sprache überhaupt nicht, und in Deutsch kann ich das machen. In Deutsch kann ich auch meine kleinen, dummen Wortspiele machen." Rio Reisers Sprache war feinsinnig und methaphernreich. Es reizte ihn auch, Worte zu verwenden, die keine Assoziationen hervorrufen und dennoch zur deutschen Sprache gehören.
Rio war ständig dabei, Worte, Phrasen und Sätze zu notieren und zu sammeln. Wenn ihm irgendwo etwas Widersprüchliches auffiel, zückte er seinen Bleistift und schrieb es auf. Er hatte stapelweise lose Blattsammlungen und Notizbücher. Manchmal staunte er Jahre später über den Blödsinn, den er da festgehalten hatte oder wunderte sich, warum er es aufgeschrieben hatte, aber meistens setzte er die vielen Notizen irgendwann in Songtexte um. So vielleicht auch in der zweiten Single-Auskopplung "Ich denk an Dich".

Es gab natürlich auch Lieder mit einer klaren, einfachen Sprache. Ein Beispiel auf der LP "Blinder Passagier" ist das allerletzte Stück "Stiller Raum", ein angebliches Weihnachtslied, das man aber auch an den restlichen Tagen im Jahr hören kann, denn es geht gnadenlos unter die Gänsehaut.
Überhaupt hat Rio viel mehr Liebeslieder als politische Rocksongs geschrieben. Komischerweise, oder aufgrund seiner Vergangenheit, wurde immer eher versucht, in den Liebesliedern politische Aussagen zu finden als umgekehrt. Aber es gibt ja auch Menschen, die vertreten glaubhaft die Meinung, alle Rocksongs seien Liebeslieder, mit der Schlußfolgerung: Liebeslieder sind Rocksongs, und Liebeslieder sind politisch.
Dennoch hat es Rio Reiser gestört, daß er bis zum Schluß auf Kampflieder der 1970er Jahre angesprochen wurde und zwanzig Jahre später nach deren Bedeutung befragt wurde. Er haßte es sowieso, als Künstler seine Werke erklären zu müssen, was immer wieder von ihm verlangt wurde.

1988 war wieder ein wichtiges Jahr in Rio Reisers Biographie. Anfang des Jahres erschien das Album "Sternschnuppen" seines Freundes & Lebenspartners Misha Schöneberg, das mit Rio als Produzent im Sommer 1986 und Herbst 1987 aufgenommen wurde, und in der "taz" schrieb ein Kritiker: "Wenn man ihn hört, weiß man, daß seine Küsse so schmecken, wie das Taj Mahal im Mondschein aussieht." Rio kommentierte diesen Satz mit einem erstaunten "Woher weiß der das?"

Am 27. Februar begann seine nächste Solo-Tour mit einem großartigen Konzert in Beverungen. Mit von der Partie waren wieder R.P.S. Lanrue an der Gitarre, Jochen Hansen am Bass und Toni Nissl hinterm Schlagzeug. Neu dabei waren Christian Schneider an den Keyboards und Manuel Lopez an der Gitarre, die beide von da an fest zur Crew gehörten.
Es gelang Rio Reiser, alte und neue Fans zu begeistern, auch wenn er nie bestimmte Songs spielte, nur um eine gewisse Erwartungshaltung im Publikum zu bedienen. So spielte er auch Stücke aus der Ton-Steine-Scherben-Zeit, wie zum Beispiel "Ardistan", "La Reponse", "Der Turm stürzt ein", "Mole Hill Rockers" und "Irrenanstalt", ach Entschuldigung, früher hieß es ja "Kommen sie schnell (Hallo, Hallo)".
Daß Rio jene von Teilen des Publikums immer wieder lautstark geforderten Titel aus den frühen Siebzigern nicht mehr sang, wurde ihm oft gedankenlos vorgeworfen, doch größere Pöbeleien, "die zu Scherbenauftritten gehörten, wie Konfetti zu Karneval" (ein Beobachter), blieben aus.
Dabei hatte Rio nicht weniger Anpassungsschwierigkeiten mit seiner Umwelt. Rio war ja auch kein einfacher Mensch, er war eine schwierige, ja manchmal gespaltene Persönlichkeit, wobei Abhängigkeiten von Alkohol und Drogen keine unwesentliche Rolle spielten. Kompromißlos ging er mit sich und anderen Menschen um.
Auf der Bühne, das erlebte man gerade 1988, ging er bei jedem Konzert an seine physischen Grenzen. Rio gab alles, strahlte Stärke und Energie aus, war ganz Vollblutmusiker. "Die Songs tragen mich", sagte er einmal, "und auch das Publikum".
Rio Reisers Publikum war im Querschnitt genauso vielschichtig wie der Künstler selbst. Sie hatten es nicht leicht miteinander: Als Rio beim "Berliner Rock-Marathon" im Juni 1988 nur Songs von seinen Solo-Platten sang, forderten im Publikum Piratenflaggen schwenkende Menschen die alten Scherben-Klassiker. Klar, auch sie hatten Eintritt gezahlt. Als er aber drei Monate später bei einem Auftritt im Berliner Tempodrom eben jene Songs alleine am Klavier vortrug, wollte das überwiegend junge Publikum die neuen Songs hören. Rio suchte einen Ausweg und kündigte einen Titel an mit den Worten "Achtet auf die Message!" Wohl niemand im Saal rechnete mit dem deutschen Volkslied "Auf einem Baum ein Kuckuck saß", was die Zuhörerschaft vollends irritierte. Das Grinsen auf Rios Gesicht sagte mehr als Worte.

Eine nette Besonderheit bei Rios Publikum war die erstaunlich große Anzahl weiblicher Fans. Das ist vielleicht von daher verwunderlich, als daß Rio mehr auf Jungen stand und dies auch nie verschwiegen hatte. Er wurde dann als Vorzeigeschwuler herumgereicht, als ob er ständig ein Bekennerschild auf der Brust tragen würde. Dabei ist es im Grunde ganz schnöde, um mal ein Lieblingswort von Rio zu benutzen: Da ist ein Mann, der das Mädchen in sich zugelassen hat. Rio hatte weibliche und männliche Freunde, verstand sich auch mit Frauen gut, nur er ging halt nie mit einer ins Bett. Aus diesem Selbstverständnis heraus wirkte er vielleicht gerade auf Frauen anziehend. Hinzu kam sein lange Zeit jungenhaftes Aussehen. Die Intensität, mit der Rio Reiser seine Gefühle und seine Seele offenbarte, aber auch seine optische Zartheit und Zerbrechlichkeit, berührten denjenigen Menschen, der dies für sich zuließ, egal welchen Geschlechts und egal welcher Neigung.
Solche Menschen fanden sich dann auch am 2. Oktober 1988 in der Ost-Berliner Werner-Seelenbinder-Halle ein, wo Rio auf Einladung der FDJ und nach Aufhebung des Spielverbotes ein grandioses Konzert vor 6.000 DDR-Bürgern gab. Hier wurde er gefeiert, wie er es verdient hatte. Rio selber wollte immer auch als Solist Erfolg haben und sagte einem Freund gegenüber einmal: "Ich will endlich die Anerkennung, die mir zusteht!" Die bekam er bei jenem bedeutungsvollen Konzert, und man sah ihm die Freude an.
Eine krönende Anerkennung bekam er sogar von seinen Kollegen, die bei einer Umfrage der Zeitschrift "Music Express / Sounds" im Oktober 1988 Rio Reiser zum besten deutschen Texter wählten. Für ihn stimmten u. a. Ulla Meinecke, Wolfgang Niedecken, Herbert Grönemeyer, Klaus Lage und Wolf Maahn.
Im Rahmen der DDR-Veranstaltung lernte Rio dann auch den Ost-Berliner Musiker Lutz Kerschowski kennen, mit dem ihn von da an musikalische Kollegialität und Freundschaft verband. Ein Jahr später wurde dann die CD "Lutz Kerschowski & Blankenfelder Boogie-Band" in Rios Tonstudio in Fresenhagen (Nordfriesland) abgemischt.

"Ein Jahr später" hieß natürlich auch, eine Mauer weniger: 1989, das Jahr der deutschen Wende! Diese Begebenheit an sich fand Rio gut und spannend, aber nicht die Art und Weise der Entwicklung, schon gar nicht die "erzwungene Vereinigung", wie er es nannte. Er ärgerte sich, daß er nicht gefragt wurde, als Bürger dieses neuen großen Landes. Ihm grauste vor den Wendehälsen, vor den Westentaschenspielern und vor den Füchsen in ihren Mercedesen und BMWs, die er auf seinen Reisen durch die neuen Bundesländer sah. Aus Angst vor den gesellschaftlichen Folgen und als Flucht vor der unberechenbaren Lawine reiste Rio nach Rio, de Janeiro. "Freude an der Einheit haben nur die, die daran verdienen", sollte er vier freudlose Jahre später in einem heißen Disput mit Angela Merkel äußern.
1989 trat Rio Reiser auch erstmals als "Tatort"-Komponist auf, indem er für die Schimanski-Folge "Der Pott" den Song "Über Nacht" schrieb und auch kurz im Film vortragen durfte.

Sein wahres Format bewies er, indem er die Opernmusik zu der Unnaer Stadtoper "Wasser des Lebens" komponierte.

Im Jahr 1990 gab es dann endlich wieder eine neue Solo-Platte von Rio Reiser, die erstmals zeitgleich in Ost und West auf den Markt kam. Diesmal begann Rios (gewollte?) Auseinandersetzung mit Worten schon vor dem ersten Anhören. Wie hieß die Scheibe? Auf dem Cover stand oben "Rio", darunter "***" und ganz unten "Reiser". Bis heute nennt jeder die Platte anders: "Rio", "Sternchen", "Drei Sterne", "Rio Drei" und so weiter und so fort. Zum Glück war das Cover feuerrot, so daß man zur Not noch von "der Roten" sprechen konnte und verstanden wurde.

Neben der Besonderheit von ungewohnt synthetischen Klängen, fiel hier vor allem das Lied "Zauberland" auf, das vorschnell als "Wendelied" oder "Abgesang auf die DDR" betitelt wurde. Doch das war blanker Unsinn, hört man in diesem mit Rios geliebten traurigen Celli unterlegten Song ihn in außergewöhnlicher intensiver Melancholie den Verlust der Liebe und der Träume bedauern: Das Sänger-Ich sehnt sich nach dem einen Kuß, und wenn's der letzte wär. Der Text ist nicht von Rio selbst, sondern von Misha Schöneberg, der seit 1982 mit und für Rio schrieb und mit einem gewissen Stolz von sich behaupten kann, "Rio hat für viele SängerInnen in Deutschland geschrieben, aber nur ganz wenige haben für ihn geschrieben (eigentlich fällt mir nur Hannes Eyber noch ein.)" Rio hatte den Song, der seit einigen Jahren auf seine Veröffentlichung wartete, schon 1988 live gesungen. An der unsinnigen Deutung ist der Interpet selbst nicht schuldlos, ließ er doch - neben dem unglücklichen Erscheinungsjahr (1990) und seinem zeitgleichen demonstrativen PDS-Eintritt - obendrein noch ein Zauberland-Video zu, das Breshnew und Honecker im innigen Bruderkuß präsentierte.
Was bewog ihn, in diese Partei einzutreten? Nun, eine siebenstellige Geldsumme soll geflossen sein (ging damals durch die Medien, u.a. auch MTV), die mögliche Hauptmotivation schlechthin. Nach eigenen Angaben wollte er in erster Linie ein Signal setzen, auch weil er keine Lobby für die Ex-DDR-Bürger sah. Hinzu kam, daß er sich mit PDS-Chef Gregor Gysi auf menschlicher Ebene sehr gut verstand. Er lehnte sich dabei weit aus dem Fenster, und daß er bei Journalisten, Kollegen und Fans nur Unverständnis hervorrief, schien ihn nicht zu interessieren. Selbst sein Manager hatte ihn gewarnt, daß es sein Ende sein könnte. Es war nicht seine erste Warnung und sollte auch nicht die letzte sein.
Doch zurück zur Musik: "Zauberland" (6/90) war die zweite Single-Auskopplung aus diesem Album. Zuvor kam das viel einsetzbare und hitverdächtige "Geld" (3/90). Dies war wiedermal so ein direkt-ehrlicher Song mit reiserischem Zynismus und wohldosierter Ironie. Doch "Geld" brachte leider kein solches, auch der Erfolg blieb aus. Rio hatte bei dem Versuch, neuen musikalischen Wegen zu folgen, seine Linie verlassen und bekam die Kurve nicht. Die formatgesteuerten Medien katapultierten ihn aus der Bahn, there's no business like showbusiness.

Nicht zu mißachten ist der Umstand, daß man Rio schon Anfang der 1980er Jahre seinen Glücksbringer gestohlen hatte (ein mittelgroßer Plüschaffe, der immer einen Ehrenplatz auf der Bühne hatte) und ihn nun Ende der 1980er Jahre auch "sein menschlicher Glücksbringer" verlassen hatte, der aber vielmehr nach eigenen Angaben "ausgesetzt" wurde.
Im Sommer 1990 gab Rio ein Konzert in Stuttgart zum Abschluß des SDR-Konzertes "Top 2000 D". Seine Band bestand aus Holly Wagner (Bass), Lutz Kerschowski (Gitarre), Manuel Lopez (Gitarre), Volker Griepenstroh (Keyboards) und Toni Nissl (Schlagzeug), die auch alle bei dem roten Album mitgewirkt hatten.
Im selben Jahr bekam Rio Reiser den Fred-Jay-Preis für den besten deutschen Schlagertext, den er für Marianne Rosenberg geschrieben hatte. Schlager - das war auch so eine beliebte Kategorie, in die Rio, meist abwertend, gesteckt wurde. Er selber hatte damit gar nicht so viele Probleme, denn: "Wenn man mit einem Song den Nerv der Zeit trifft, dann ist das ein Schlager", sagte er im April 1990 in einem Interview bei "Rocklife" (WDR). Von daher war für ihn ein Scherben-Song á la "Macht kaputt, was Euch kaputt macht" genauso ein Schlager, wie eben ein Fred-Jay-Lied. Da aber der Begriff Schlager mit bestimmten Titeln und Namen belegt ist, nannte Rio seine sogenannten Schlager lieber Gassenhauer. Eigentlich war seine Musik nicht einzuordnen, aber es sollte schon populär sein, was er machte. Er selber hörte jede Art von Musik, ja, auch Schlager, notfalls zur Abgrenzung, um zu sehen, wie man es nicht macht, oder auch nur zum amüsieren.

1991 gab es dann ein neues Rio-Reiser-Album mit dem schlagkräftigen Titel "Durch die Wand", welches in Fan-Kreisen nicht zu seinen stärksten zählt. Dabei enthält es neben der ersten Single-Auskopplung "Jetzt schlägt's dreizehn" - übrigens ein Song von 1981 - die melancholischen Stücke "Zu Hause" und "Nach Hause". Die zweite Single aus diesem Album hieß "Nur Dich" und benutzte die Sprache in einer paradoxen Form.

Die Hervorhebung und Betonung der Texte tut Rio Reiser eigentlich Unrecht, denn Rio war ein durch und durch musikalischer Mensch, der nicht nur einfach Texte vertonte, sondern eigenständig komponierte. Das ist eben der Unterschied zwischen einem Songwriter und einem Liedermacher. Für Rio waren Musik und Text immer gleichwertig und gleich wichtig. Er hat kritische Themen der Zeit engagiert aufgenommen und in seine Form von Sprache und Musik umgesetzt. Rio Reiser war ein Gefühlsmensch, der Songtexte selten konstruiert hat. Oft waren es einfach Visionen von einem Lied, manchmal kamen Ideen plötzlich beim herumklimpern auf dem Klavier. Seine besten Stücke sind die, die er "schnell" geschrieben haben soll.
Nebenbei bemerkt war Rio ein sehr fleißiger Musiker, der viel geübt hat, oft stundenlang am Klavier saß und sich warm gesungen hat. Gerade am Klavier ist seine Musikalität nicht nur hörbar, sondern fast schon spürbar, und man versteht, was Wolfgang Michels meint, wenn er sagt "Rio war ein begnadeter Künstler." Und Hollow Skai schrieb in "Mare" (6/98) "Rio war ein begnadeter Songwriter." Begnadet, ja, aber im allgemeinen leider unterschätzt und verkannt, zumindest was den ausbleibenden materiellen Erfolg angeht, der einem durch großen Zulauf der breiten Masse widerfährt.

Was die Einzigartigkeit von Rio Reiser ausmacht, ist die Vereinigung vieler Fähigkeiten: Er war Texter, Komponist, Sänger und Instrumentalist (Cello, Klavier und Gitarre). Hinzu kamen persönliche Eigenheiten, wie seine Intensität und sein Charisma. Rios Persönlichkeit war aber auch geprägt von einer inneren Zerrissenheit (vielleicht vergleichbar mit Truman Capote, den man "Monster, das man liebte" nannte). Rio war oft unberechenbar, gespalten und launisch. Selbst engste Mitmenschen sahen ihn kritisch, denn auch sie hat er oft enttäuscht.
So schwierig er als Privatperson auch gewesen sein mag, als öffentlicher Künstler wollte und konnte Rio Reiser vor allem vermitteln, war ganz Überzeugungstäter, leider auch manchmal ein Opfer, das schuldig wurde. Oder anders ausgedrückt: "Wenn ein Hamletdarsteller die Bühne verläßt, wird ihm niemand übel nehmen, daß er im wirklichen Leben kein Hamlet ist." (Misha Schöneberg)

Rio Reisers musikalische Laufbahn begann wie anfänglich beschrieben unter dem Einfluß der Beatles, deren Musik er immer bei Arbeiten im Tonstudio hörte, und den Rolling Stones. Auch mochte er The Clash, die Beach Boys, und, nun ja, auch Hans Albers, doch vor allem die von ihm innig verehrte Marlene Dietrich. So breit wie sein musikalisches Interesse war auch sein eigenes Repertoire. In gleicher Weise war Rio Reiser seit frühester Jugend der Theater- und Kleinkunstszene verbunden.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis er einen Auftritt im Hamburger "Schmidt-Theater" hatte, zumal er den Chef, Corny Littmann, seit Mitte der 1970er Jahre kannte. Ton Steine Scherben hatten mit dem Schwulen-Kabarett "Brühwarm" (Corny Littmann alias "Herr Schmidt", Ernst Reinhard alias "Lilo Wanders" und andere) zwei Platten gemacht, "Mannstoll" (1977) und "Entartet" (1978). Wahrer, warmer Männercharme ...
Im November 1991 trat Rio dann solo bei der "Schmidt-Mitternachtsshow" auf und sang alleine am Klavier "Halt Dich an Deiner Liebe fest". Zuvor hatte er für Marianne Rosenberg zwei schöne Liebeslieder geschrieben, die auf ihrem Album "Und Du kannst nichts dagegen tun", das im Oktober 1991 erschien, zu hören sind.

1992 war kein so gutes Jahr für Rio: Gesundheitlich schlug es ihn nieder, was genau "es" war, entzieht sich meiner Kenntnis, spielt aber auch keine Rolle. Der Ärger über die Wiedervereinigung war ihm wohl dermaßen auf den Magen geschlagen, daß nur noch ein Aufenthalt in der Schloßpark-Klinik in Berlin-Charlottenburg half. Die Presse stürzte sich wie ein hungriger Geier auf ein scheinbar halbtotes Opfer. Tja, Show ohne Biz gibt es nicht, berühmt sein ohne Presse auch nicht, das wußte Rio.

Er wußte auch sehr wohl, daß er schwerkrank war, die Leber hinüber. Fachärzte sagten ihm, daß er keinen Alkohol mehr trinken und sich nicht anstrengen dürfte. Rio ging zu Heilpraktikern und trank Kräutertee. Er alterte im Gesicht um Jahre, und die Haare gingen ihm aus.
Er hat sich nie geschont, in keiner Beziehung: In dem Theaterstück "Ein ungelegener Besuch", das am 6. September 1992 im Berliner Renaissance-Theater Premiere hatte, spielte Rio Reiser die Hauptrolle.
Im Dezember trat Rio bei dem antifaschistischen Benefiz-Konzert "Heute die - Morgen Du" in Frankfurt am Main auf. Zusammen mit Ulla Meinecke sang er das kurzfristig entstandene Lied "13. Dezember", wobei Ulla den Text und Rio die Musik geschrieben hatte. Diese Zusammenarbeit war nicht neu, schon 1988 hatten die beiden für ein Album von Ulla Meinecke zusammen Stücke geschrieben. Einen zweiten Auftritt bei diesem Konzert bestritt Rio mit Marianne Rosenberg, ebenfalls keine Neuheit. Sie sangen den Scherben-Klassiker "Der Traum ist aus". Dies ist ja eins von den Liedern aus der Ton-Steine-Scherben-Zeit, die Rio auch bei Solo-Konzerten immer wieder gerne sang, weil er nach wie vor dazu stand. Andere Titel waren "Land in Sicht" und "Halt Dich an Deiner Liebe fest".
Die Teilnahme an diesem Konzert kommentierten viele Schreiberlinge mit Erstaunen: Ach gugge ma, der Rio engagiert sich widder mal politisch, hieß es da sinngemäß. Rio war immer ein politischer Mensch, nur was früher von Medien und Publikum überbewertet wurde, wurde nun unterbewertet. Rio konnte es nie jemanden Recht machen, und wer will es ihm dann verübeln, daß er Solidaritätsveranstaltungen und politische Arbeit nicht sonderlich mochte.
Rio Reiser war vor allem ein unorthodoxer Christ, der jeden Tag in der Bibel las (ein Kapitel aus dem alten und eins aus dem neuen Testament), aber nichts von der Institution Kirche hielt. Er setzte sich mit dem Christentum auseinander, um es zu verstehen, und er setzte sich gleichermaßen mit allen Weltreligionen zwischen Orient und Okzident auseinander, so wie er es bei Karl May immer bewundert hatte. Mit zehn Jahren hatte Rio die Bibel mit all ihren Widersprüchen für sich entdeckt und seit dem ständig die Konfrontation mit dem wahren (un)christlichen Leben gesucht. So hat er die Bibel auch immer als Inspiration genutzt, nicht zuletzt für Songtexte. Die zehn Gebote fand er gar nicht mal so schlecht.

Als 1993 Rio Reisers neue Platte "Über alles" erschien, war weder sie, noch die Singles "Nimmst Du mich mit" (10/93) und das entfesselte "Inazitti" (2/94) in den Medien irgendwie präsent.

Fernseh- und Radiostationen boykottierten ihn wegen der PDS-Geschichte. Zu widersprüchlich war es, daß ein Linker, der all die Jahre gegen Unterdrücker und Ausbeuter angesungen hatte, ein Anarcho-Barde und Freiheitskämpfer war, sich nun einer Nachfolgepartei der SED anschloß. Da halfen erst recht nicht Rios Rechtfertigungsversuche, daß die PDS immerhin die Verantwortung für die letzten 40 Jahre übernommen hätte.
Verantwortung übernahm Rio 1993 dergestalt, daß er wieder Texte für andere Interpreten schrieb, diesmal für Kalle Krawinkel, Ex-Gitarrist der NDW-Truppe "Trio". Für dessen Album "Kralle" hatte Rio Texte, die Kalle in Englisch geschrieben hatte, ins Deutsche zurückübersetzt.
Im November 1993 war Rio Reiser zu Gast bei Alfred Bioleks "Boulevard Bio" zum Thema "Mein ärgerliches Vaterland". Es ging um Rios Rolle als "Nestbeschmutzer", wobei sich Rio manchmal vorkam wie Goethes "Zauberlehrling", ganz nach dem Motto "Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los." Die "Verräter!"-Rufe der alten und neuen Ideologen, die ihm freundliche Lieder ohne Wut vorwarfen und ihm den kommerziellen Erfolg übel nahmen, waren indes nicht neu. Sie begleiteten Rio von der ersten bis zu letzten Platte genauso treu wie der bundesdeutsche Geheimdienst. Sein Kommentar dazu: "Die Leute denken, daß ich immer nur auf's Geld schiele. Die sollten mal meinen Kontoauszug sehen."Ob Rio für seinen Auftritt bei der "Schmidt-Mitternachtsshow" am 4. Dezember 1993 im Schmidt-Theater Geld bekam, weiß ich nicht, aber er bekam die Gelegenheit zu einer außergewöhnlichen Begegnung: Frau Marlene Jaschke sang voller Hingabe das Lied "Vier Wände" von Rios 1990er LP. Nach ein paar Sekunden trat Rio barfüßig hinzu und stimmte mit ein. Was für ein Duett! Rio bedankte sich mit einem Handkuß bei seiner Partnerin und sang dann, begleitet von Volker Griepenstroh am Piano, "Für immer und Dich".

1994 wurde das Jahr der Bilanzen, also rein musikalisch und biographisch. Im März erschien eine aktualisierte Fassung seines Hits "König von Deutschland". Kohl gab`s noch immer, aber Birgit Breuels Treuhand war nun angesagter als Ronald Reagans Wade und Hans Meiser lebendiger als Robert Lemke. Bei der Bundeswehr gab es nun Hanfgranaten statt Hitparaden und die gewechselten Socken wichen den gebadeten Prinzen. Der alte Hit wurde kein neuer - andere Zeiten, andere Lieder.

Dennoch gab es im April eine "Best-of"-CD, die allerdings genauso wenig Aufsehen erregte.

Anders war es bei der Autobiographie von Rio Reiser, die 1994 erschien. Sie trug den unglücklichen Titel "König von Deutschland - Von Ton Steine Scherben bis in die Hitparaden". Der Inhalt des Buches relativierte dann aber doch die äußere Hülle. Man hatte den Eindruck, und so kam sich Rio auch vor, wie er später gestand (am 28.4.1995 in der NDR-Talkshow), "als ob Oppa vom Krieg erzählt". Ferner wollte Rio "etwas zur Erbauung der Jugend beitragen". Rio Reiser und Co-Autor Hannes Eyber (früher Co-Produzent von Ton Steine Scherben) beschrieben die ersten 25 Lebensjahre eines Protagonisten, den man auf rund 300 Seiten kennenlernt und einfach gern haben muß. Das ganze ist stilistisch wunderbar ehrlich, pointenreich, detailverliebt und lebendig, immer verbunden mit Sprachwitz und Charme. Dabei wird nicht nur eine Künstlerbiographie geschrieben, sondern vor allem auch seine nicht unwesentliche Umwelt beschrieben. Man erfährt fast nebenbei sehr viel über Deutschland, Berlin und Kreuzberg, über Kunst, Kommune und Küchengespräche, natürlich auch über Mitmenschen, zwischenmenschliches und allzumenschliches. Leider endet das Buch mit dem Umzug von Berlin nach Fresenhagen im Sommer 1975. Der Sprung in die Hitparaden wird nur ganz am Ende in einer Art Zukunftsvision angedeutet.

Und wer nun immer noch wissen will, worum es in dem Buch geht, der halte sich an Thomas Koschwitz, der Rio in seiner "RTL-Nachtshow" 1994 zum dritten mal fragte: "Was erwartet mich denn nun in dem Buch?", und eine Reiser-typische Antwort bekam: "Na Buchstaben!" Haben wir gelacht ...
Daß die Autobiographie nicht ganz zu Rios Zufriedenheit ausfiel, lag nicht zuletzt an ihm selber: Ihn nervten die Vorschriften des Verlages so sehr, daß er kurzerhand nach Thailand abhaute und die Schlußverhandlungen Hannes Eyber überließ. Als Rio zurückkam, paßte ihm das Endergebnis überhaupt nicht.
Jedenfalls verkaufte sich das Buch recht gut, sowohl in den Läden als auch in den Medien, und Rio ging auf Lese-Tournee. Daß er dabei nicht immer auf aufmerksames Publikum stieß, zeigte die Frage einer Zuhörerin nach einer Lesung: "Hast Du eigentlich Kinder?"
1994 war Rio noch an einem Boxer-Musical beteiligt, daß Armin Petras und Philipp Stölzl nach Ödön von Horvarth geschrieben hatten. "Knock out Deutschland" wurde zwar nicht wie geplant im Vorprogramm eines Boxkampfes von Henry Maske gezeigt, aber dafür in angenehmerer Atmosphäre im Schauspielhaus Chemnitz.

Im März 1995 erschien die Rio-Reiser-CD "Himmel & Hölle" mit elf neuen Liedern, die jedes für sich eine Geschichte aus seinem Leben erzählten, denn sie zeigten die Einflüsse aus Theater, Film, Rockmusik, Politik und Märchen.

Die musikalische Vielseitigkeit machte das Album zu Rios komplexesten Werk. Dies befand auch das Musikmagazin "Rolling Stone" im Mai 1995 und nannte es "Reisers bislang bestes Solo-Album". Weiter schrieb Hollow Skai: "Niemand in Deutschland schreibt so wahre, aufrichtig-radikale und nachzuempfindende Texte wie dieser melancholische Spielmann des auslaufenden 20. Jahrhunderts."
Den Grundstein der CD bildete der Song "Irrlicht", eine rundum kraftvolle Komposition mit herrlich kraftvollem Gesang. Drei Stücke "entlieh" sich Rio bei sich selber, er hatte sie für das Musical "Die Braut der Brüder" seines Bruders Peter Möbius geschrieben und nun selbst gesungen, allerdings dermaßen gefühlsecht, wie es kein zweiter singen kann. Das trifft eigentlich auf alle Songs dieser Platte zu, besonders auch bei "Träume", der Titelsong des Tatorts "Im Herzen Eiszeit", der am 2. April 1995 erstmals ausgestrahlt wurde, mit Rio Reiser in der Hauptrolle.
Wie schon in seinen sechs Filme zuvor, gab er auch hier viel von sich selbst und spielte alle Mit-Darsteller an die Wand. Er war ein guter Schauspieler. Nicht umsonst bekam er für seine erste Hauptrolle in dem Roadie-Movie "Johnny West" 1977 den Bundesfilmpreis in Gold, was damals vor allem den Gerichtsvollzieher erfreute.
Wie ein kleines Drehbuch wirkte auch der Song "Straße", die einzige Single-Auskopplung (2/95) aus "Himmel & Hölle". Hier beschreibt Rio die Situation des Verlassenwerdens. Manche Menschen sagen ja "Ich geh' mal eben Zigaretten holen" und kommen nie wieder. Rios damaliger Lebenspartner Niels sagte "Ich bring' mal eben Lutz zum Bahnhof" und ward nicht mehr gesehen.

Rio hat so oft Situationen beschrieben, die jeder von uns kennt, Themen, die jedem oft genug begegnen, und sein Anliegen war es dabei, Licht ins Dunkel zu bringen, "den Leuten, die meine Musik hören, die Stimmung zu heben, so daß sie wieder was tun können." In einem Radio-Interview für "Rock et cetera" (Deutschlandfunk) am 24. Juli 1995 erklärte es Rio dann so: "Wenn jemand den Song hört, dann muß er ja mit dem Song was anfangen können. Er soll den ja benutzen, er soll ihn umsetzen." Befragt nach seiner Glaubwürdigkeit sagte Rio an gleicher Stelle: "Die Leute sollen nicht mir glauben, sondern sich selbst glauben. Ich kann viel erzählen. Warum soll man mir glauben? Wer will's denn überprüfen? Also: Zweifel an allem!" Ein paar Sätze weiter fügte er hinzu: "Um zu überprüfen, was für ein Typ ich bin und wie echt ich bin, da muß man mich schon gut kennen."
Selbst die, die ihn gut kannten und sich Sorgen machten, wagten trotz besseren Wissens nicht daran zu denken, wie nah Rio Reiser Himmel und Hölle schon damals war. Bedingt durch Alkohol, Psycho-Terror von Rechtsradikalen und der Sekte "Kinder Gottes", von der er sich verfolgt fühlte, wurde er immer depressiver, und langsam verlor er den Kampf gegen den Terror aus der Psyche seiner selbst.
Noch nie ganz frei von Todessehnsüchten, wirkten viele seiner letzten Lieder wie Todesahnungen oder Visionen, als ob er wußte, was kommen würde und wie falsch Freunde sein können.
Rios Leber war kaputt, jedes Glas konnte das letzte sein, denn Jahre zuvor fiel er schon mal in ein unheilvolles Koma - hatte ihm ein Barkeeper in Florida K.O.-Tropfen in den einen Tequila getan? (oder war's ein Räuber in New York?) - , doch Rio hörte nicht auf die Ärzte, sondern flüchtete und schaute weiterhin zu oft zu tief ins Glas. "Ich habe alles ausprobiert, aber die beste Wirkung habe ich noch mit Alkohol", sagte er einmal einem Freund.

Für die ARD-Krimiserie "Die Gang" spielte Rio Reiser 1996 in der Folge "Liebeslied für eine Leiche" den paedophilen Popstar Kevin Kaiser, kein filmisches Glanzlicht allerdings.
Glanzlichter standen eher in den Augen von Uwe Ochsenknecht, dem Hauptdarsteller der "Gang"-Serie, als er während der Dreharbeiten mit Rio über Musik plauderte. Ochsenknecht brauchte für sein Album "O-Töne" noch einen Song und da kam ihm die Idee - "Wenn der Meister einem schon mal gegenüber sitzt" (U.O.) - Rio zu fragen. Wenige Wochen später erhielt der singende Schauspieler einen Songtext, den er unverändert übernahm.
Gegen jeden gut gemeinten Rat begab Rio sich im Mai '96 auf Deutschland-Tour. Doch dieser Kraftakt, todkrank auf Tour zu gehen, war zuviel für Rios ausgemergelten Körper, er mußte die Tour am 24. Mai abbrechen, ausgerechnet einen Tag vor dem Berliner Konzert, wo seine größte Fangemeinde auf ihn wartete.
Wer weiß, mit welcher Energie und Leidenschaft Rio Reiser auf der Bühne arbeitete, der mag nachvollziehen können, daß so ein Feuer irgendwann ausgebrannt ist. "Irgendwann" war ein heißer Augusttag, der 20. August 1996 - Kreislaufzusammenbruch, innere Blutungen. Ende. "Unser Verlust ist Gottes Gewinn" heißt es, aber mußte es verdammt noch mal so früh sein und gleich so endgültig?
Viele Fragen standen im Raum und viele Nachrufe im Blätterwald, untersetzt von Heuchlern erster Güte, aber auch subtileren Stimmen: "Mit Rio Reiser ging auch die Illusion von der subversiven Kraft der Musik", schrieb Hollow Skai im "Rolling Stone" (10/96). Blixa Bargeld, der Sänger der Einstürzenden Neubauten, formulierte es im "Spiegel" (35/96) nicht minder wahr: "Ich habe noch nie jemanden in Deutschland singen gehört oder gesehen, der wie Rio in der Lage war, innerhalb von Sekunden eine intime Beziehung, geradezu eine Liebesbeziehung, mit jedem einzelnen seiner Zuhörer aufzubauen." - "Rio Reiser strahlte Kraft und Macht aus, die er vom Publikum bekam, und er gab sie wieder zurück."

Rio Reiser wurde in Fresenhagen begraben, wo er zwanzig Jahre lang gelebt hat und sich immerhin so wohlgefühlt haben muß, daß er einmal den Wunsch äußerte, dort, unter dem Apfelbaum, den er von seinem Zimmer aus sehen konnte, seine letzte Ruhe zu finden. Seine Familie und Freunde erfüllten ihm den Wunsch und kümmerten sich anschließend um sein Erbe, das weniger materiell war, sondern in geistiger, kreativer und künstlerischer Form vorlag.
Im Oktober 1996 wurde der Verein "Rio-Reiser-Haus e.V." gegründet, wo Rios Nachlaß fürsorglich und akribisch gesichtet wird, um ihn der Nachwelt zu erhalten.
Doch zuvor gab es am 1. September 1996 einen "Abschied von Rio" in Form eines Konzertes im Berliner Tempodrom. Einen Abend lang war es noch einmal Rios Bühne, auf der junge und alte Kollegen aus Ost und West auf unterschiedlichste Art Abschied nahmen und noch einmal an den großen Künstler erinnerten. An die 10.000 Fans aus ganz Deutschland und darüber hinaus kamen, und einer schrieb hinterher in einem Leserbrief, für ihn sei Rio Reiser "der sensibelste, zerrissenste, menschlichste, eigensinnigste, inspirierendste und konsequenteste Poet unserer Gegenwart".

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer vielleicht als Beweis die im Oktober 1998 erschienene CD "Rio Reiser am Piano I" aus dem Rio-Reiser-Archiv mit 18 bisher unveröffentlichten Liedern aus dem Nachlaß. Rios Stimme und das Klavier, purer kann Musik nicht sein. Die Musik und die Sprache Rio Reisers werden bleiben.

An seinem letzten Tag auf dieser Erde war seine Bibel auf der Seite Sirach 37 aufgeschlagen: "Die Wurzel der Pläne ist das Herz. Vier Reiser wachsen daraus hervor: Gutes und Böses, Leben und Tod. Doch die Zunge hat Gewalt über sie alle."

Wie aktuell Rio Reiser und Ton Steine Scherben gerade in dieser Zeit sind, belegen einige Veröffentlichungen, sie bereits erschienen oder geplant sind: Im November 1998 erschien auf der CD-ROM von "German Rock e.V." weltexklusiv (!) ein Auszug des Titels "Herz verloren", den Rio 1985 für Wolfgang Michels getextet und in dieser Demo-Version einmalig selbst gesungen hatte. Es ist angedacht und erwünscht, diesen Track einmal "offiziell" zu veröffentlichen. Im Februar 1999 erschien auf der CD-ROM des Musikmagazins "Musikexpress/Sounds" eine 7-Minuten-Version des Scherben-Songs "Ardistan", neu aufgenommen von "Zeit-Reiser" alias Dirk Schlömer (Ex-Scherbe) als Sitara-Mix. Die Version ist drei Jahre alt, und Rio soll sie sogar noch gehört haben. Geplant ist ein Sampler mit diversen, sehr unterschiedlichen Remixes dieses Songs. Rio hatte zu Lebzeiten seine Rechte an "Ardistan" an Dirk Schlömer abgetreten. Im April 1999 soll die CD "Am Piano II" erscheinen, also die Fortsetzung von "Am Piano I". Man darf gespannt sein ... In Arbeit ist eine CD mit dem Titel "Die Nachtfalter - Träume, Tod, Erinnerung" mit Musik von Kai Sichtermann und Martin Paul als Produzent - beide ihres Zeichens langjährige Mitglieder von Ton Steine Scherben. Sie enthält überwiegend aufbereitetes Material dieser Band, sowie zwei Texte von Misha Schöneberg. Ferner plant das Label Telefunken, eine CD des Scherben-Samplers "Auswahl I 1970-1980" herauszubringen.Mein aufrichtiger Dank gilt ...Kurt Mitzkatis, daß er mir den Anlaß und die Kraft gegeben hat, diesen Artikel überhaupt zu schreiben,Wolfgang Michels für wunderschöne Telefongespräche voller Informationen, Impressionen und i-Tüpfel,Misha Schöneberg, daß er mich ein Stück auf dem Weg zur Sprach- und Wahrheitsfindung begleitet hat,Peter und Gert Möbius für ihr Vertrauen,Tanja Blum und Friedhelm Schäfer, daß sie mich mit unentbehrlicher Hilfe bei der Recherchearbeit undmit konstruktiver Kritik unterstützt haben.

Ihr alle seid ganz wunderbare Menschen!

[Regina Sommerfeld für German Rock News 7, 1999]

Wolf Sequenza - d

Sequenza, Wolf

Gründungsmitglied und Trommler von Ton Steine Scherben.


1972

Jochen Petersen - sax

Petersen, Jochen

Mitglied bei Achim Reichel,Blonker,Cornucopia,Nikolaus Esche,Ikarus,Randy Pie,Rattles,RMO,Tomorrow's Gift,Ton Steine Scherben (1972) undWind.

Joerg Schlotterer - flute

Schlotterer, Jörg

1972 Flötist von Ton Steine Scherben.

Kai Sichtermann - b, Banjo

Nikel Pallat - v

Pallat, Nikel

1972 Sänger von Ton Steine Scherben.

Olaf Lietzau - d

Lietzau, Olaf

1971-1977 Trommler bei Panther.
1972 Trommler von Ton Steine Scherben.
Spielte für Achim Reichel "Propeller" und "Echoes" ein und für Käptn Kaos "Showtime"

R.P.S. Lanrue - g

Rio Reiser - v, g, key


1975

'Funky' Klaus Goetzner - d

Götzner, Klaus

1975 Trommler von Ton Steine Scherben.
Um die Jahrtausendwende bei Neues Glas aus alten Scherben.

R.P.S. Lanrue - g

Rio Reiser - v, g

Vegas von Trantor - perc

von Trantor, Vegas

1975 Percussionist von Ton Steine Scherben.

Werner Goetz - b

Götz, Werner

1975 Bassist von Ton Steine Scherben.


1981

Joerg Schlotterer - flute, Posaune

Kai Sichtermann - b, Trompete, Banjo

Kai Sichtermann - b, Trompete, Banjo

Klaus Goetzner - d

Klaus Goetzner - d

Klaus v. Felsen - sax

von Felsen, Klaus

1981 Saxophonist von Ton Steine Scherben.

Marius del Mestre - g

del Mestre, Marius

1981 Gitarrist bei Ton Steine Scherben.

Martin Paul - key

Paul, Martin

1983 Keyboarder von Ton Steine Scherben.

R.P.S. Lanrue - g, key

R.P.S. Lanrue - g, key

Rio Reiser - v, g, key, Akkordeon

Rio Reiser - v, g, key, Akkordeon


1982

Dirk Schloemer - g

Schlömer, Dirk

1984 Gitarrist von Ton Steine Scherben.
Mitglied von Das Zeichen und Amygdala.
Um die Jahrtausendwende bei Neues Glas aus alten Scherben.
2001 gründet er Ornah-Mental

Kai Sichtermann - b, Trompete, Banjo

Klaus Goetzner - d

Martin Paul - key

Paul, Martin

1983 Keyboarder von Ton Steine Scherben.

R.P.S. Lanrue - g, key

Rio Reiser - v, g, key, Akkordeon


1983

Funky K. Goetzner - d

Kai Sichtermann - b

Martin Paul - key

R.P.S. Lanrue - g

Rio Reiser - v


1984

Dirk Schloemer - g

Funky K. Goetzner - d

Kai Sichtermann - b

Martin Paul - key

R.P.S. Lanrue - g

Richard Herten - perc

Herten, Richard

1984 Percussionist von Ton Steine Scherben.

Rio Reiser - v

News

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CD "Träume Tod Erinnerung" von "Nachtfalter" (Ex-Scherben) erschien Ende März.
"Auswahl I" bald erstmals auf CD
Mit Zeitreiser gab es 1999 ein weiteres Lebenszeichen aus der Scherben-Family

Kontakt

Offizielle Page: http://www.tonsteinescherben.de

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