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Epidermis
Epidermis, Wiesbaden» ist aufgelöst

Biografie

EPIDERMIS Bio

Epidermis war eine Progressive-Band aus Hessen, die 1971 in Idstein gegründet wurde, aber schon bald in die nahegelegene Landeshauptstadt Wiesbaden umsiedelte. In Besprechungen wird sie oft mit Yes, Gentle Giant und der Canterbury-Szene verglichen. Es spielten Rolf Lonz (* 16.1.1950 in Idstein) als Sänger, Gitarrist und Flötist, Michael Kurz (* 1948) an den Tasten, Reiner Neeb (* 7.2.1950 in Schotten im hessischen Vogelsbergkreis) am Schlagzeug und schließlich Wolfgang Wünsche (* 19.9.1952 in Wiesbaden) am Bass. Die Geschichte der Gruppe erzählt nun Gründungsmitglied Rolf Lonz:

„Aus einer Schülerband, die sich in den sechziger Jahren den Namen The Ancestors gab und in einem Gebäude des angesehenen und etablierten Idsteiner Akkordeon-Orchesters (MFI) auf dem Gelände einer stillgelegten ehemaligen Lederfabrik einmal pro Woche eine Stunde proben durfte, formierte sich 1971 unsere neue Band Epidermis. Die Besetzung von The Ancestors entsprach einer traditionellen Beatband mit Solosänger und zeitweise auch zusätzlichen Sängerinnen, zwei E-Gitarren, E-Bass und Schlagzeug. Die Verstärker bestanden aus ausgedienten Röhrenradios, die damals als voll funktionsfähiger Elektromüll an jeder Straßenecke zu finden waren und den kompakten, schneller empfangsbereiten Transistorradios Platz gemacht hatten. Der TAB-Eingang der alten Radios war für uns damals der erste Schritt in die elektrisch verstärkte Welt der Musik. Der Bassist musste sich allerdings nach jeder Probe um ein neues Gerät bemühen, da der Lautsprecher dem Schalldruck nicht lange standhielt. Wir spielten als reine Cover-Band und mussten natürlich die damaligen Beat- und Pop-Musikcharts rauf und runter spielen. Mit Hilfe der motorisierten Eltern waren wir bald, oft mit geliehenem Equipment, ‚on the road‘ und ‚on stage‘, vom Cavern-Club in Frankfurt-Höchst, der Jahrhunderthalle Höchst und allen angesagten damaligen Diskotheken und Jugendclubs, die oft so abenteuerliche Namen wie Ponderosa, Shiloh oder Beat Farm hatten, bis Limburg an der Lahn häufig unterwegs, um zu spielen. Ich war mit meiner Gitarre schon zu dieser Zeit derjenige, der die Songs im Radio auf ihre Eignung hin heraushörte und die Arrangements ausarbeitete. Wenn einmal ein brauchbarer Titel im Rundfunk zu hören war (Radio Luxemburg zum Beispiel), musste ich sehr schnell sein, da die Musik durch die mangelhafte Übertragungsqualität sehr schwer auszumachen war. Die Singles oder LPs waren teuer und Notenmaterial absolute Mangelware. Dann kam der Zeitpunkt, wo das Nachspielen der Mainstream-Musik keine wahre Erleuchtung mehr brachte. In Sichtweite des Ancestors-Übungsraumes stand das völlig heruntergekommene, vergammelte, aber unter Denkmalschutz stehende Gerber-Haus der ehemaligen Lederfabrik. Dort waren die gegerbten Tierfelle zum Trocknen aufbewahrt worden. Da Tierfelle etwas mit Haut zu tun haben, war bald der neue Gruppenname Epidermis kreiert. Das aus acht Tönen bestehende Anfangsmotiv des Titels A Speck, A Dream ist die erste und sehr prägende eigene Musik von Epidermis, die ihren Anfang in den Räumlichkeiten der alten Stadt Idstein hatte.

Die Epidermis-Gründungsmitglieder, Reiner Neeb, Michael Kurz und ich, Rolf Lonz, siedelten bald nach Wiesbaden um, noch im Gründungsjahr 1971. Mit Hilfe des dortigen Liegenschaftsamtes fanden wir einen neuen Proberaum mitten im Zentrum der Stadt, der vormals als Duschraum für die Mitarbeiter eines inzwischen leerstehenden ehemaligen Hotels gedient hatte. Die gekachelten Wände hatten wir während vieler Sperrmüll-Aktionen mit gesammelten ausgedienten Matratzen verkleidet, um den Geräuschpegel für die sehr eng angrenzende Nachbarschaft und speziell ein Polizeirevier auf der gegenüberliegenden Straßenseite möglichst gering zu halten.

Das geschah alles Anfang der 1970er Jahre und führte auch zu einer Neuordnung bezüglich der Bandbesetzung und Instrumentierung. Reiner Neeb wechselte vom reinen Sänger zum Drummer, Michael Kurz von der Rhythmus-Gitarre zum Keyboard, ich blieb Lead-Gitarrist und Flötist und wurde mehr und mehr zum Lead-Sänger. Als neues Mitglied von Epidermis kam als E-Bassist Wolfgang Wünsche in die Band. Er fühlte sich nach eigenem Bekunden mehr als Gitarrist und spielte den Bass auch sehr gitarrenorientiert, welches den Kompositionen sehr nutzte, die von Beginn an von mir kamen. Die Arrangements der Stücke waren nach langen, schier endlosen Diskussionen oft Gemeinschaftsarbeit. Völlig losgelöst von der übrigen Wiesbadener Musikerszene, die sich sehr an angesagtem Blues-Rock und Mainstream orientierte, entwickelten wir uns als eigenständiges Musikbiotop, fern von US-amerikanischen und UK-orientierten Musikstilen. Besonders ich, der ich noch während des abzuleistenden Zivildienstes den Traum hegte und danach schließlich verwirklichte, ein Musikstudium für Gitarre, Querflöte und Klavier zu beginnen, war sehr an allen möglichen Musikstilen interessiert und hatte mindestens acht offene Ohren für Neues. Die damalige erzkonservative Musikausbildung wurde durch viele neue Töne aus Darmstadt, Köln, unter anderem natürlich auch aus dem Ausland, langsam erträglicher. Für mich lag ein Schmelztiegel vieler Musikstile in Europa; das ‚bisschen‘ Blues vereinnahmte ich als volkstümliche Vereinfachung eines uralten 12/8-Taktmaßes mit Grundkadenzfolge, die schon in der historischen Volksmusik üblich war, auch für meine Musik und Epidermis. Nur hört man bei Epidermis kaum einen amerikanischen Stil, der Gesang ist doch eher im alten europäischen Satzgesang verwurzelt. Da in der Band Demokratie und der Achtung jeder Meinungsäußerung große Bedeutung beigemessen wurde, diskutierten wir lange über diese Themen. Diese manchmal extremen internen Reibungen brachten als Ergebnis einen traditionellen vierstimmigen Satzgesang, der mit einer vielschichtigen Rockmusik und vielen zeittypischen Stilmitteln in Einklang zu bringen war.

Durch den jetzt jederzeit nutzbaren Übungsraum war auch eine intensivere Probenarbeit möglich geworden. Am Ende stand das erste Konzertprogramm mit ausschließlich eigener, selbstkomponierter Musik. Ein Problem entstand durch fehlende Auftrittsmöglichkeiten, da wir überhaupt nicht den gängigen Hörmustern der Konzertveranstalter entsprachen. Die Musikrichtung nannte man damals noch Underground, und einige junge Journalismus-Studenten und Auszubildende versuchten sich mit ersten Berichten über diese Epidermis-Musik in den lokalen Wiesbadener Tageszeitungen als Kultur- und Musikjournalisten zu profilieren. Die Band spielte überall, wo es möglich und manchmal auch unmöglich war. Es gab Konzerte für damalige Wohnkommunen, Stadtteil-Initiativen, Bürgerzentren, die aufkommende Grünen-Partei, Amnesty International, also viele Benefiz-Veranstaltungen, deren Gastgeber alle ein lukratives Konzert bei späteren Aktivitäten in Aussicht stellten. Durch die Musikpresse wurde ich schließlich auf ein neues Musiklabel aufmerksam, das Bands mit eigenständigem, alternativem Programm unter dem Motto, wie es hieß: ‚nicht noch eine American-Style-Blues-Rockband‘, für Schallplattenaufnahmen suchte. Der Proton-Musikverlag war laut diesem Pressebericht gerade dabei, mit dem Labelgründer, Produzenten, Komponisten, Musiker und Toningenieur Fred Kersten aus Hochspeyer ein Studio in Neustadt an der Weinstraße aufzubauen. Wir hatten mit Hilfe eines Freundes und mit einem geliehenen Stereobandgerät und zwei Diktiergerät-Mikrofonen ein total vermumpftes Demoband des endlich fertiggestellten Titels A Speck, A Dream aufgenommen. Die Spieldauer betrug damals beachtliche 20 Minuten und erschien uns alternativ und eigenständig genug, um es Herrn Kersten und seinem Proton-Label zuzuschicken. Außerdem dachten wir: Epidermis und Proton, beides Wortbegriffe aus dem Griechischen, müssten eigentlich positive Reaktionen bei den Verantwortlichen dieses Labels auslösen. Unsere Musik fanden wir zu jener Zeit sowieso sehr interessant und in höchstem Maße innovativ. Nach einigen Wochen kam auch endlich die positive Nachricht: Herr Kersten fand die Musik in ‚höchstem Maße interessant‘, die ihm vorliegende Tonbandaufnahme klang – O-Ton Kersten – ‚wie Toilette‘. Fred Kersten schlug uns zwei Tage Studiozeit Anfang Juni 1975 vor, an denen Epidermis so viel Musik wie möglich von diesem ‚Epider-Mist‘ (Zitat: Fred Kersten) aufnehmen konnte und sollte. Das im Aufbau befindliche Kersten-Studio befand sich in einer alten hochherrschaftlichen Villa, inmitten der Weinberge von Neustadt an der Weinstraße. Fred Kersten teilte sich dort die Aufnahmezeiten mit dem Mischpulte und Rundfunkwerbung produzierenden TFE-Studio. Er war also nur Mitnutzer, kein Alleininhaber.

Zum Studiotermin wurden Verstärker, Boxen und das Schlagzeug in Wolfgangs über Beziehungen erstandenen uralten VW-Bus geladen, alle sonstigen Instrumente kamen in die Ente (ein zu damaliger Zeit beliebtes Studentenfahrzeug einer französischen Automobilfirma) meines Freundes Rudi, den ich in der Zeit des gemeinsam geleisteten Zivildienstes kennengelernt hatte. Nach rasanter Fahrt – beide Fahrzeuge brachten auf abschüssiger Strecke beachtliche 90 und an Steigungen gefühlte 40 km/h auf die Autobahn – fuhren wir die imposante Auffahrt zum Studio empor, die noch die Spuren früherer Kutschenfahrzeuge mit Pferdegespann erahnen ließ. Ein ganz in naturweißes Leinen gekleideter Herr, im Alter um die 50 und mit ebenso weißen Haaren, stellte sich uns als Fred Kersten vor: ‚Ihr dürft mich gerne Fred nennen, das ist in Künstlerkreisen so üblich.‘ Also nannten wir ihn ‚Herr Kersten‘, vorerst einmal.

Wir brachten also unser mit vielen Anstrengungen sauer zusammengespartes Instrumentarium nebst Verstärkern in die heiligen Studioräumlichkeiten. Fred Kerstens Miene wurde immer angespannter, als er unser Equipment sah. Er zeigte uns sofort den Weg zur Toilette, eines seiner Lieblingsworte dieser Zeit, und meinte: ‚Ihr könnt dort alles gleich abladen, morgen kommt die Kanalreinigung, die auch die Toilette und euren Elektromüll entsorgen kann.‘ Er hatte natürlich völlig Recht, denn Michaels Keyboard war ein kleinmanualiges Gebilde ohne Herstellungsnachweis, Wolfgangs E-Bass war der billige Nachbau (mit defektem Tonabnehmer) einer damals sehr angesagten Bass-Instrumentenbaufirma, meine E-Gitarre war die ebenso billige Kopie einer halbakustischen Gitarre, die nicht stimmbar war und blieb, das Schlagzeug war die preiswerte erste Serie einer später sehr erfolgreichen Schlagzeug-Manufaktur, mit einer extrem quietschenden Fußmaschine. Wir ließen uns trotz aller Widrigkeiten nicht beirren, und das fand Fred Kersten irgendwie imponierend. Wir spielten unsere Stücke immer und immer wieder, wobei er mit vielen Varianten der Mikrofon-Positionierung vor den Lautsprecherboxen und dem Schlagzeug dauernd um uns herumwuselte.

Unsere Titel hatten keine fiktiven Begebenheiten als Grundlage, sondern waren erlebte und gelebte Situationen. Wegen der damaligen Wohnungsknappheit in Wiesbaden lebte ich jahrelang in der Wohngemeinschaft mit einer sehr alten Dame. Der Track Social Tragedy beschreibt diese Zeit, wobei der schlechte Umgang mit den Menschen heute immer noch bittere Realität ist. Listeners (Commercial Mess) braucht keine weitere Erklärung. Da momentan alles der wirtschaftlichen Maximierung unterworfen ist, wird es in der Musikwelt bald das finale Musical: Musical, The Musical, Musical geben. Die beiden Instrumentaltitel Powerslide und Theme For Fred kamen bei Konzerten immer sehr gut beim Publikum an.

Der Hammer bei den Aufnahmen war natürlich das etwa zwanzigminütige A Speck, A Dream. Herr Kersten saß irgendwann an dem Mischpult, das ein fähiger Techniker des TFE-Studios aus einem Rundfunksprecherpult – ursprünglich nur mit einer Laut- und Leise-Regelung versehen – so modifiziert hatte, dass auch hochfrequente Signale auf ein Tonband übertragen werden konnten. Spät am Abend des ersten Aufnahmetages eröffnete uns Herr Kersten, dass die Aufnahmen am Folgetag beginnen könnten. Die Band habe sich jetzt an die Studiosituation gewöhnt und werde wohl schon ganz brauchbar klingen. Etwas frustriert machten wir uns auf die Heimreise, um ausgeruht und voll motiviert früh am nächsten Tag endlich unsere Musik aufzunehmen. Am Ende des eigentlichen Aufnahmetages waren zehn Titel ‚im Kasten‘. Bis auf eine Flöte, die nachträglich auf das Playback synchronisiert wurde, hatten wir alles ‚am Stück‘ eingespielt. Selbst Fred Kersten, der von nun an von uns Fred und in besonderen euphorischen Erfolgsmomenten auch Freddi genannt wurde, meinte: ‚Das war schon ganz ordentlich, klingt nur noch halb nach Toilette.‘ Danach ließen wir das Aufnahmeband von June 1975 erst einmal in Ruhe, denn für die Abmischung sollte man immer etwas Zeit verstreichen lassen. Von jedem Titel hatten wir mehrere Versionen aufgenommen; die beste Aufnahme kam in die Auswahl der Abmischung. Wir wählten mit Fred fünf Titel aus, und er schnitt davon das Masterband für eine sogenannte LP-Matrize, die Vorlage zur Pressung der LP. Zu Zeiten der analogen LP kamen wir auf etwa 40 Minuten Musik, mehr Laufzeit hätte auf einer Schallplatte zu Klang- und Dynamikverlusten geführt.

Mit den Vorarbeiten für die erste Epidermis-LP June 1975 waren wir nun fertig. Jetzt begann der eigentliche und schwierigste Teil der Produktionsvermarktung. Wir brauchten jetzt einen möglichst großen Schallplattenvertrieb, mit einem breitgefächerten Produktangebot. Die bekannten und großen Plattenlabel befanden sich zu jener Zeit in Köln und Hamburg. Fred und ich klapperten zuerst ohne nennenswerten Erfolg alle Kölner Labels ab, dann fuhren wir beide nach Hamburg. Bald wurde uns klar: Die sogenannten und verantwortlichen A&R-Manager (Artist and Repertoire, in unserem Sprachgebrauch: Anschiss- und Rausschmiss-Manager) lehnten vieles aus Germany ab, da der Absatz und der damit verbundene Umsatz von englischen und US-amerikanischen Produkten hätte in Gefahr geraten können. Außerdem war der Aufbau einer Band mit viel Aufwand verbunden. Die Schallplattenlabel-Giganten waren fast alle keine einheimischen Firmen. Mir wurde erstmals klar: Es ging bei allen Schallplattenlabels nicht um Musik, sondern um eine Ware, die auf einem Tonträger nur das Zeichen einer weltweit begehrten Währungseinheit trug und trägt. Tonart: Währungsart. Musik: Notationsvorzeichen = Banknoten-Logo. Aha! Alles klar!

Mit dieser Erkenntnis und um viele Erfahrungen reicher machten Fred und ich uns noch in der Nacht auf den Weg in Richtung Bremen. Während der Fahrt gerieten wir in eine dicke, matschige und undurchsichtig gelblich wabernde Nebelsuppe. Wir mussten den Wagen anhalten, da keine fünf Meter Sichtweite gegeben waren. Ich meinte dazu: ‚So ähnlich muss die Ursuppe ausgesehen haben, bevor die ersten Lebewesen entstanden.‘ Fred schloss sich dieser Ansicht an: ‚Rolf, schreib eine neue Schöpfung!‘ Eine Idee war geboren. In der Musikgeschichte gibt es sehr viele musikalische Versionen der Schöpfungsgeschichte nach biblischen Vorgaben und deren Auslegungen. Eine weitere davon wollte ich auf keinen Fall. Vielmehr beschäftigten mich die Initialzündungen, die in Ideen und Gedanken liegen. Wie und wodurch nimmt der Genius of Original Force , also ein ‚Urgedanke‘, Gestalt und Form an? In unseren Kulturkreisen sind Begriffe wie Schöpfer, Gott und Geist gebräuchliche Synonyme, die für Kreativität und Innovation im allgemeinen Sprachgebrauch stehen. Deshalb tauchen diese Worte in den Texten des Albums sehr häufig auf. Der Genius war und ist für Epidermis das erste Konzeptalbum. Auf der zweiten Seite der LP verschmelzen die Titel Genius of Original Force und Prime Origin zu einer Einheit. Der Gedanke, die Idee, beginnt meist mit einem Urknall der Offenbarung, einer Orgie aus Energie, momentaner Stille, langanhaltendem Lärm und mündet in einem ‚Irgendetwas‘, wenn man es zulässt und daran arbeitet. Für Musiker ist das relativ einfach umzusetzen, da Musik an sich nur einen Zeitablauf von neu sortierten Ton- und Akkordfolgen, Raum und irgendein Vehikel (Instrument) zur Klangerzeugung braucht. Für die Studio-Aufnahmen nahmen wir uns dieses Mal etwas mehr Zeit. Die Terminplanung favorisierte die damaligen Osterfeiertage 1976. Fred Kersten und wir von Epidermis wollten unbedingt ein paar musikalische Eier legen. Die Außentemperaturen entsprachen schon fast einer frühsommerlichen Witterung, also wie geeignet zum Ausbrüten der Eier. Unsere Verstärker und Instrumente waren um etliche Klassen besser geworden, einzig das legendäre Clavicord D6 von Hohner raubte uns den letzten Nerv, da es sich dauernd verstimmte und so fast unsere Stimmung und das gesamte Tuning des Playbacks ruiniert hätte. Da wir auf acht Spuren aufnahmen, mischte Fred immer einzelne Spuren zusammen, und Michael konnte das nach jedem Take neu gestimmte D6 als Overdub einspielen. Gleichermaßen verfuhren wir mit dem Gesang, der in seiner komplexen, ineinander verwobenen Art sowohl wuchtig als auch transparent auf allen Ebenen bleiben sollte. Besonders einfallsreich gingen wir bezüglich des Urknalls, des Prime Origin, vor. Fred hatte eine Menge Mikrofone im größten Raum des Studios verteilt. Alles, was im Keller der alten Villa zu finden war und ein möglichst großes Lärmpotential vermuten ließ, legten oder stellten wir in die Mitte des Studioraumes. Dazu zählten leere Bier- und Wasserkästen, ein Kleiderspind aus Metall, verzinkte Wasserwannen, unsere Boxen und Verstärker, Reiners Schlagzeugbecken, beschichtetes, ultralaut knisterndes Papier, Freds Federhall-Kabinett (die Goldspirale-Hall-Bombe, wie das Teil im Studiojargon hieß) und noch jede Menge anderer Krach-Utensilien. Fred startete die Bandmaschine, agierte lärmtechnisch auch selbst, und wir liefen zu wahren Höchstleistungen auf. Es waren gefühlte Stunden des ohrenbetäubenden Lärms, davon wurden nur wenige Sekunden für die Produktion verwendet. Wir alle gingen danach erstmal Bienenstich essen und die Ohren beruhigen. Der Bienenstich einer Bäckerei in Neustadt an der Weinstraße hatte es uns angetan. Falls die Arbeitssituation im Studio kritisch zu werden drohte – das ereignete sich in Stressmomenten oft – rettete uns der Ausspruch ‚Sollen wir alles löschen, oder gehen wir jetzt mal Bienenstich essen?‘ mehrmals vor dem musikalischen Overkill.

Die Aufnahmen begannen fast immer am Morgen gegen 8 Uhr und endeten mit sehr mitgenommenen Ohren und Fingern meist erst um 21 Uhr am Abend. Die Ergebnisse des Tages wurden dann in Freds Wohnung, die er in der benachbarten Gemeinde Forst hatte, weiter heiß diskutiert. Die kommerzielle Auswertung der entstehenden Produktion war damals nur am Rande des Tagesgeschehens von Bedeutung. Egal! Irgendwann war der letzte Ton gespielt und im ‚Kasten‘, wir traten die Heimreise nach Wiesbaden an. Unter Freds Regie und seinem sehr strengen Kommando sollten die aufwändige Abmischung und das Mastering einige Wochen später stattfinden. Ich stand damals kurz vor dem Abschluss meines Musikstudiums, hatte also alle Zeit der Welt, um das Vorhaben mit Fred zum festgelegten Termin anzugehen. Zurück im Studio widmeten wir uns der ‚Sichtung‘ des aufgenommenen Materials. Die Zeit, die jetzt zwischen den Aufnahmen und der Abmischung gelegen hatte, machte ein objektiveres Hören der Musik möglich. Fred war nun voll in seinem Element. Der Mix ging von dem Achtspuraufnahmegerät und dem entsprechenden Tonband auf den sogenannten Schnürsenkel, eine Tonbandform, die der Größe einer Amateur-Tonbandspule entsprach, aber aus viel dickerem Material und einer dichteren magnetischen Beschichtung bestand. Fred schnitt jeden der fertiggemischten, im heutigen Sprachgebrauch analogen Musik-Takes, im Sinne des Wortes, mit einer Schere und klebte die Teile dann aneinander. Unbrauchbare Schnitte wanderten in den Eimer (das Magnetband konnte man zu jener Zeit schon weiterverwenden), die brauchbaren Schnitte legte er sich um den Hals, damit er mehrere, der musikalischen Reihenfolge entsprechende Teilstücke mit dem legendären Gelbband zusammenkleben konnte. Die Pausenzeiten, die zur Erholung der Ohren notwendig und wichtig waren, nutzte ich zum Einstudieren meiner Examenstitel für klassische Gitarre, Querflöte und Klavier. Dieses Repertoire klang noch sehr nach Katastrophe, oder im ewigen Lieblingsspruch von Fred ‚wie Toilette‘. Als der gesamte Genius Of Original Force mit den uns zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten als endgültig gemischtes Band zur Herstellung einer Matrize für die LP-Pressung vorlag, machte sich die Band mit Hilfe von Freunden und Designern aus dem Bekanntenkreis an die LP-Covergestaltung. Diese Prozedur dauerte fast länger als die Komposition und Aufnahme des gesamten Materials. Alle Bandmitglieder hatten mittlerweile feste weibliche Partnerinnen, die natürlich (wir waren alle fortschrittliche, basisorientierte, paritätisch handelnde Demokraten) kritisierten, dass auf diesem oder jenem Bild der Partner schlecht und unterrepräsentiert ‚rüberkäme.‘ Nach endlosem Hin und Her beschlossen wir schließlich entnervt, überhaupt keine Fotos der Musiker zu verwenden, sondern nahmen den Entwurf des Gedanken aussendenden Gehirns, von dem Künstler für Licht- und Optik-Performance Wolfgang Lieser geschaffen, der viele unserer Konzerte wirkungsvoll mit Farben und bewegten Bildern illustriert hatte. Selbst ich wurde aufgrund der beschlossenen Bandeinheit nicht im Coverflow als Komponist und Texter erwähnt. Die Musik-Arrangements waren bei Epidermis und vielen anderen Bands der langsam verblassenden Hippie-Ära manchmal auch Gemeinschaftsarbeit. Irgendwann kam aber immer der Zeitpunkt, wo die Diskussion über Form und Konzeption unserer Musik keinen Sinn mehr hatte, sondern nur noch der persönlichen Selbstprofilierung diente. Ein Ergebnis musste her.

Danach begleitete ich Fred Kersten zu einer Kölner Firma, die gewöhnlich dessen LP- und Single-Matrizen herstellte. Auf einer Wachsvorlage stichelte eine Nadel die Konturen der Musik, die man sich in Vergrößerung wie das Abbild der Erde vorstellen kann, mit Erhebungen, Tälern und Flussläufen. Sci-Fi-Filmemacher wären vielleicht vor Neid erblasst. Rolf wurde mit einem Mal klar: Musik wird bei diesem Vorgang zu Materie, entstanden aus Ideen und vielen ständig variierten Gedanken. Die Wachsteller dienten dann als Vorlage für die beiden Metall-Matrizen von A- und B-Seite für die zu pressenden LPs aus Vinyl.

Als ich das allererste Exemplar unserer Musik mit dem Label-Aufdruck Epidermis – Genius Of Original Force in den Händen halten, über die auf beiden Seiten eingebrannte Plattenrille sehen konnte und dadurch ein Mitglied dieser ‚Scheibenwelt‘ wurde, bekam ich bei diesem Ereignis weiche Knie. Ein digitaler, virtueller Titel als Download erzeugt dieses Gefühl nicht annähernd.

Der musikalische Alltag brachte alles wieder auf eine sehr realistische Ebene. Ein Schallplattenvertrieb wurde wichtiger als vieles andere, Kontakte zu Presse und Rundfunk mussten hergestellt, die LP über Konzerte promotet, die Konzert-Performance erweitert und verbessert werden, eigentlich die Aufgabe von Musik-Managern und Veranstaltern, doch die wollten sich erst einbringen, wenn die Band etwas bekannter geworden sei. Ein altes Geheimnis des Musikbetriebes: Man bekommt erst dann das Richtige, wenn man alles Wichtige schon hat. Trotz aller Schwierigkeiten starteten wir im Rahmen unserer LP-Veröffentlichung eine Genius Of Original Force-Party in der Wohnung von mir und meiner Partnerin. Im Verlauf einer sehr langen Nacht und des ausgedehnten Morgens glaubten die Bandmitglieder, alle Einwohner Wiesbadens gesehen und mit allen Anwesenden gesprochen zu haben. Jedenfalls war der Verkauf der LP bei der Party mehr als zufriedenstellend. Die Epidermis-Musikanlage konnte durch die Einnahmen in vieler Hinsicht aufgepeppt werden.

Wir waren schon zu Zeiten von June 1975 der Galeristin und Konstruktivismus-Künstlerin Monika Kühling aus Funnix in Ostfriesland aufgefallen, der die klare Struktur und Emotion dieser Musik sehr zusagte. Sie, das damalige Wiesbadener Filmhaus und Epidermis organisierten die ersten Kranzplatz-Feste mit elektrisch verstärkter Rockmusik, ‚Open Air‘ inmitten der erzkonservativen Stadt Wiesbaden. Getränke und Sitzgelegenheiten brachte das durch Mundpropaganda und Printmedien informierte Publikum selbst mit. Trotz Genehmigung war kurz vor 22 Uhr der Strom weg… Doch wir konnten auch akustisch (neudeutsch unplugged). Auch im Folgejahr wurde das Fest ein voller Erfolg, und die ersten großen Getränkefirmen hatten schon ihre Beziehungen spielen lassen, um das Event zu übernehmen und in ihrem Sinne auszuschlachten. Heute ist das Kranzplatz-Fest jährlicher und fester Bestandteil der Wiesbadener Veranstaltungsaktivitäten und ein riesiger kommerzieller Erfolg des Main Stream, obwohl Wiesbaden eigentlich am Rhein und am Fuße des Taunus liegt.

Die Galerie Fundé befand sich etwas außerhalb der Innenstadt, im Kellergewölbe der Walkmühle, eines ehemaligen riesigen Wiesbadener Wäschereibetriebes. Wir spielten dort während einer Ausstellung von Konstruktivismus-Künstlern. Nach dem Konzert fragte uns Monika, ob wir nicht unsere Probenarbeit generell in die Walkmühle, also in die Galerie verlegen wollten. Das war natürlich ein tolles Angebot, da wir durch die Fenster auch mal das Sonnenlicht sehen konnten. Akustisch entsprach die räumliche Situation auch mehr einer Bühne, unser fast schalltot gedämpfter Übungsraum hatte uns bei Konzerten hinsichtlich der Soundqualität immer wieder in schwierige Situationen gebracht. Die Gespräche mit den ausstellenden bildenden Künstlern, die aus vielen europäischen, aber auch aus östlichen Ländern kamen, mündeten immer wieder in die Frage: ‚Was wollt ihr hier in Wiesbaden, eure Musik gehört in die ganze Welt, da sie viel Musik der Welt in sich trägt.‘ So etwas hatten wir natürlich noch nie gehört, und es kam von völlig fremden Menschen, die wir noch nie gesehen hatten, die uns überhaupt nicht kannten. Monika hatte einen Plan, den sie uns erst einmal nicht verriet. Wir zogen also mit Sack und Pack aus unserem Übungsraum, behielten ihn aber als Rückkehrmöglichkeit, da wir ja die launische Kunstszene sehr gut kannten. Dann ließ die Profigaleristin die Katze aus dem Sack. Sie selbst stellte auf der Kunstmesse Art ’79 in Basel aus und bot uns an, im Rahmen der Art Actions Epidermis-Musik eine Woche lang während mehrerer Konzerte zu präsentieren. Als der Zeitpunkt Kunstmesse gekommen war und ein Berg von bürokratischen Richtlinien, Formularen, Versicherungen und zollspezifischen Fragen gelöst schien, begaben wir uns mit dem Vibraphonisten Harald ‚Hedij‘ Heine als Gastmusiker nach Basel. Ich fuhr den Bandbus, der vollbeladen gerade mal 100 km/h auf die Autobahn brachte. Die restlichen Bandmitglieder fuhren in einem zweiten Fahrzeug vorne weg. Die Grenze zur Schweiz war als Treffpunkt ausgemacht. Nach etwa anderthalb Stunden vergeblicher Wartezeit dort entschloss ich mich, bis Basel weiterzufahren. Wie ich später erfuhr, waren die anderen schon vorgefahren, als ich nicht innerhalb der erwarteten Zeit an der Grenze eingetroffen war. Die Ausreise von der BRD ins Niemandsland vor der Schweizer Grenze war überhaupt kein Problem. Dort bekam ich dann aber die geballte Zollgrenzmacht der Schweiz demonstriert. Jeden mitgeführten musikalischen Ausrüstungsgegenstand (zollbürokratischer Spezialausdruck) hatten wir auf einer Liste aufzuführen und das gesamte Instrumentarium klar zu kennzeichnen und zu nummerieren (die Zahlen sind bis heute sichtbar geblieben). Die Zollbeamten der Schweiz wussten wahrscheinlich, dass Musiker bisweilen Verstärker-Sicherungen oder Gitarren-Plektren im Geldbeutel aufbewahrten. Dieses eine Plektron fehlte auf der Liste der musikalischen Ausrüstung. Nach langer Diskussion forderten die Zöllner von der Basler Kunstmesse einen Begleitservice an, der garantierte: ‚Der Musiker wird bis zum Erreichen des Messegeländes nicht aussteigen, um das nummernlose Plektrum zu veräußern, mit dem Erlös in der Schweiz unterzutauchen und bis zum Ende seiner irdischen Zeit in Saus und Braus in der Schweiz zu verbringen.‘ Nachdem der Amtsschimmel ausgewiehert, ich mich beruhigt hatte und der Rest der Band vollzählig eingetrudelt war, wurden die Konzerte ein voller Erfolg. Als Konzertsaal diente eine Parkhausetage, die trotz liebevoll gestaltetem Bühnenbild von Seiten der Messeleitung die Musik in neue Hall- und Echodimensionen tauchte. Trotz der mehr als positiven Annahme der Musik von Epidermis waren wirklich ernste Reibereien und unschöne Auseinandersetzungen in Basel zwischen den Bandmitgliedern an der Tagesordnung. Nach unserer Rückkehr nach Wiesbaden kam es zum endgültigen Bruch. Der Bassist Wolfgang Wünsche verließ die Gruppe.

Wir standen nun mitten in einer Neuausrichtung bezüglich Personal und Musik. Nach unbefriedigender und ergebnisloser Suche nach einem neuen Bassisten übernahm ich mit meiner Doppelhalsgitarre (Bass/Guitar Double Neck) auch den E-Bass-Part im Wechsel mit dem von Michael gespielten Bass-Synthesizer. Von nun an wurde alles, bis auf die freien Improvisationen der neu komponierten Musik, als Gesamtpartitur notiert. Bisher hatte ich nur den Titel A Speck, A Dream als Notenpartitur geschrieben. Kontakte und eine Mitwirkung in der sogenannten Schneeball-Initiative freier deutscher Musikgruppen erwiesen sich als vollkommener Flop. Ziel der losen Vereinigung war, Konzerte und Tonträger-Verkäufe in den Herkunftsstädten der Bands zu organisieren. Wir hatten zwar einer Münchener Band in Wiesbadens einziger Konzertstätte, dem Nero, einen sehr erfolgreichen und lukrativen Auftritt ermöglichen können, ein Folgeauftritt für Epidermis in München kam jedoch nie zustande. Die Devise hieß: Egal, weitermachen! Alles, was einmal unter der Überschrift Underground Music gelaufen war, war nun plötzlich Prog-Rock oder in deutscher Verunglimpfung Kraut-Rock. Die Neue Deutsche Welle (NDW) wurde bis auf wenige, kaum noch erwähnenswerte Ausnahmen immer banaler, ohne wirkliche Aussagekraft und eigene Identität. Die Musik versank schließlich im Diskosumpf der 1980er, die Redakteure und Moderatoren der Radiosender bekamen oft nervöse Zuckungen, falls ein Musiktitel länger als drei Minuten dauerte. Alles wurde auf Format getrimmt, und es wurde gnadenlos in längere Intros und solistische Instrumentalstellen hineingequatscht.

Ich wollte mich und Epidermis aber auch nicht mehr länger hinter esoterisch und philosophisch anmutenden Texten verstecken. Zudem bedeutete das Genre Prog-Rock für mich vor allem auch: ‚to be in progress‘, also ein Weitergehen, nicht in einer Schublade kleben bleiben (Siehe, ich will raus hier), die Musik weiter entwickeln, eine Progression mit vorantreiben.

Fred Kersten hatte sein Studio von Neustadt an der Weinstraße nach Pohlheim-Garbenteich in der Nähe von Gießen verlegt und war gerade dabei, alles auf den neuesten Stand der Studiotechnik zu bringen. Deshalb nahmen wir Anfang 1982 die Muster-Burger-Titel im Cottage Studio in Wiesbaden mit Rudolf Leubner und Kurt Hummel als Tontechnikern auf. Geplant waren die neuen Aufnahmen zu Demozwecken für Veranstalter und natürlich auch mal wieder für die großen Vertriebsfirmen. Als wir die Aufnahmen fast beendet hatten – zur Verstärkung des verbliebenen Epidermis-Trios waren Harald Heine (Saxophon) und die Performance-Tänzerin Tanja Ludwig (Text-Rezitation) als Gäste ins Studio gekommen – unterbreitete uns Rudolf Leubner das Angebot der Frankfurter Plattenfirma Bellaphon, eine fertige LP in den Vertrieb zu nehmen. Sechs Stücke wurden für das Cottage-eigene neue Label ToTr ausgewählt und mit dem LP-Titel Muster-Burger fertiggestellt. Ab diesem Zeitpunkt lief auch die Konzerttätigkeit immer besser, die Printmedien schrieben durchweg gute Kritiken. Die von mir geschriebenen Titel waren zwar weiterhin sehr komplex und erschlossen sich dem Publikum erst nach mehrmaligem Hören, doch war das für die Liebhaber der Epidermis-Musik genau das Richtige.

Als ich wieder einmal einige LPs für den Verkauf während der Konzerte bei dem Vertrieb abholen wollte, kam der Paukenschlag. Es wurde von Firmenseite mitgeteilt, dass der gesamte Bestand von Muster-Burger wegen der angeblich ‚zu peinlichen Texte‘ eingestampft worden sei.

Nachdem ich alle Rechte an der Musik wieder zurückverlangt hatte, war auch diese Episode mit einer großen Vertriebsfirma vorbei. Wir spielten weiterhin viele Konzerte mit wechselnden Gastmusikern. Michael Kurz, Reiner Neeb und ich betätigten uns aber auch im neuen Kersten-Studio als Studiomusiker, Reiner und ich schrieben Songs für ein Kinder-Pop-Trio für eine Fernsehsendung während der Berliner Funkausstellung, produzierten eine Menge Playbacks für Pop- und Schlagerinterpretinnen und Interpreten des Cerma- und des Proton-Musikverlags von Fred Kersten. Bei einem Epidermis-Konzert kam die Anfrage, ob wir Lust und Zeit hätten, beim Festival de Jeunesse eine Reihe von Konzerten in Straßburg zu spielen, anlässlich eines Jubiläums der Europäischen Jugendorganisation. Also traten wir an verschiedenen Orten in Straßburg auf, darunter auch im  Foyer des Europaparlamentes. Ich hatte eine europäische EU-Hymne geschrieben, die mit den Anfängen der Nationalhymnen der EU-Gründungsstaaten begann, in einer Mixtur-Kakophonie mündete, aus der sich dann die neue ‚Europa, Europa, Terra Nostra‘-Melodie entwickelte. Die jungen Zuhörer begrüßten diese Idee frenetisch, während uns einige Parlamentarier Prügel androhten. Im Parlament durften wir daraufhin jedenfalls keine Konzerte mehr spielen.

Obwohl sich Epidermis nie offiziell als Band aufgelöst hatte – das letzte Konzert fand 1986 statt –, gab es nach dem Album Muster-Burger und den Straßburg-Auftritten wieder eine Phase der Neuorientierung. Bei einem Unfall hatte der Keyboarder Michael fast einen Finger verloren. Außerdem brauchte die Familienplanung bei Reiner und Michael eine finanzielle Kontinuität, die mit Epidermis zu keiner Zeit erreichbar gewesen wäre. Beide engagierten sich deshalb voll in ihren erlernten Berufen. Ich widmete mich als diplomierter Musiker anderen musikalischen Projekten.

Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre entstand plötzlich eine neue Nachfrage für das Album Genius Of Original Force. Der gesamte Restbestand war schnell verkauft und bald eine CD mit gleichem Titel produziert. Das Digitalmaster wurde jedoch nicht vom analogen Masterband, sondern von einer LP hergestellt. Das Mutterband wollte Fred Kersten, der dem interessierten Label nur wenig Vertrauen entgegenbrachte, ihm nicht überlassen.

Die Neuausgabe bescherte mir jedoch einige Lizenzeinnahmen, die ich sofort in neue Projekte investierte. Ich wollte unbedingt meinen Traum verwirklichen, den Titel A Speck, A Dream mit vielen Naturinstrumenten im Studio Garbenteich neu zu produzieren. Eine CD namens Feel Me (WMMS 008) mit drei Titeln (in verschiedenen Fassungen) inklusive A Speck, A Dream war 1991 mit einer großen Anzahl an Gastmusikern und der ehemaligen Epidermis-Originalbesetzung schnell eingespielt, verkauft und vergriffen.

Eine erweiterte Zweitausgabe wurde 1993 mit Booklet im alten Schallplatten-Singleformat, als ViP-Disc (Visual Pocket Disc) produziert (WMMS 030). Diese erste Visual Pocket Disc hatte sogar eine Markenzeichen-Registrierung vom Bundespatentamt, nur wollte der Handel diese Machart nicht, da sie weder ‚marktkonform‘ sei noch ‚systemgerecht‘ in die Verkaufsregale passen würde (die Vision des Muster-Burger hatte Epidermis eingeholt). Wenige Exemplare der originalen ViP-Disc Feel Me sind noch bei den Plattenversendern JPC und WOM oder über das Netz unter www.arlonz-edition.de erhältlich. Der damalige Vertrieb von Peter Wustmann bestand auf der CD-Titelfolge, während ich lieber die Version gehabt hätte, die nur virtuell existiert. Doch die Titelauswahl war bei Epidermis oft ein Problem. Die daran beteiligten Musiker sind mit denen auf der physischen CD identisch. Die eigentlich von mir bevorzugte Trackliste von Feel Me wurde erst 2019 nur zum Download bei iTunes/Apple Music und anderen Portalen online gestellt. Das war die letzte Produktion von Epidermis, mehr dazu bei https://www.facebook.com/arlonz.sophisticated.rock.“

Es bleibt noch einiges zu ergänzen, besonders zu den einzelnen Veröffentlichungen. Sowohl die LP als auch die CD June 1975 sind von den Mutterbändern gezogen, über die Jahrzehnte hinweg sachgerecht aufbewahrt von Gabriele Lonz. Die ursprüngliche Reihenfolge der Stücke wurde beibehalten, der Klang nicht verändert. A Speck, A Dream hört man dort in der ersten und bisher unbekannten Fassung. Nach 45 Jahren war die Veröffentlichung überfällig. Die fünf Zusatzstücke der CD stammen von der gleichen Aufnahmesitzung im Kersten-Studio in Neustadt an der Weinstraße. Die Download-Ausgabe hat ein anderes Cover, mit dem ganz jungen Rolf Lonz und seinem Vater. Die LP Genius Of Original Force (Kerston FK 65063) wurde 1977 in einer Auflage von 1000 Stück gefertigt. Die Hülle wurde von Wolfgang Lieser gestaltet. Das, was dort wie ein Gehirn aussieht, ist in Wirklichkeit eine Walnuß. In den späten achtziger Jahren trat ein Schallplattenhändler namens Peter Wustmann an die Gruppe heran und kaufte ihnen die übriggebliebenen Bestände ab. Die CD Genius Of Original Force (Music Is Intelligence WMMS 010) brachte der Wustmann 1992 mit neugestaltetem Cover auf seinem eigenen Label heraus. Allerdings hatte Fred Kersten ihm mangels Vertrauen das Mutterband verweigert, so dass er sie von Platte ziehen musste. Sie wurde mehrfach von ihm nachgepresst und hat eine Auflage von mehreren tausend Stück. Die vorliegende LP stammt vom Mutterband, ebenso wie die CD-Ausgabe von 2021 (Garden of Delights CD 191), die zusätzlich noch vier klanglich einwandfreie Zusatzstücke aus dem Studio enthält. Das Mutterband und die teuer von Peter Wustmann zurückerworbenen Rechte liegen nun bei Rolf Lonz. Die Auflage der LP Muster-Burger (Tontraeger ToTr 8502), die im Sommer 1982 erschien, betrug wiederum 1000 Stück, von denen aber, wie von Rolf Lonz schon berichtet, ein Teil vernichtet wurde. Die Erstausgabe der CD Feel Me (Music Is Intelligence WMMS 008) von 1991 war ein Schnellschuss von Peter Wustmann und hatte eine Titelauswahl, die den Künstlern nicht recht behagte. Deshalb schoben sie zwei Jahre später eine von ihnen selbst neugestaltete Ausgabe nach, die wiederum auf Peter Wustmanns Label erschien, nun mit anderer Bestellnummer (Music Is Intelligence WMMS 030), anderem Cover und einer Trackliste, die ein Kompromiss zwischen ihren und Peter Wustmanns Vorstellungen war. Im Grunde ist es eine neue CD., weshalb sie hier in der Diskographie auch getrennt aufgeführt wird. Die Auflage betrug 500 Stück. Das Klappcover im Format 19 x 19 cm, also etwas größer als dasjenige einer 7"-Vinyl-Single, enthält ein eingeheftetes Booklet von 16 Seiten. Dass der Handel die CD wegen ihres unhandlichen Formats ablehnen würde, hätte man sich eigentlich auch vorher denken können. Mit dieser Veröffentlichung war dann auch das Ende von Epidermis gekommen.

Bei der erwähnten Baseler Kunstmesse Art ’79 im Juni 1979 trat übrigens außer Epidermis auch die Gruppe Sound Action Sculptures auf, mit Joël Vandroogenbroeck und Carol(e) Muriel, die man von Brainticket und von Drum Circus her kennt.

Der Hauptgrund für Wolfgang Wünsches anschließenden Ausstieg war, dass er es ablehnte, Noten zu lernen. Er meinte, dass es seine schöpferische Kraft einschränken könnte.“

Rolf Lonz war später noch an einer Vielzahl von musikalischen Projekten beteiligt, wie er schon kurz erwähnte. Derzeit spielt er mit Angela Fischer als AR Lonz, im Netz zu sehen unter https://www.youtube.com/watch?v=9sKcCkopZeE. Die anderen drei traten nicht mehr auf Tonträgern in Erscheinung. Reiner Neeb starb schon um 2007, Michael Kurz im November 2017, so dass heute von den Gründungsmitgliedern nur noch Rolf Lonz lebt. Mit Wolfgang Wünsche steht er weiterhin in freundschaftlicher Verbindung. Über den Verbleib von Harald Heine und Monika Kühling ist leider nichts bekannt. 

Quelle: Garden Of Delights

Bilder

Epidermis in den 70ern Foto: Sammlung Rolf Lonz

Epidermis im Übungskeller in den 70ern Foto: Sammlung Rolf Lonz

Epidermis-Rolf Lonz in den 70ern Foto: Sammlung Rolf Lonz

Epidermis-Michael Kurz in den 70ern Foto: Sammlung Rolf Lonz

Epidermis-MRainer Neeb in den 70ern Foto: Sammlung Rolf Lonz

Epidermis-Wolfgang Wünsche in den 70ern Foto: Sammlung Rolf Lonz

Konzertbericht

Diskografie

Jahr vonJahr bisBezeichnungArtCover
1991 1991 Feel Me CD
1992 1992 Genius Of Original Force CD
2021 2021 Genius Of Original Force CD
1993 1993 Feel Me (VIP-Disc) CD/DVD
1975 1975 June 1975 LP
1977 1977 Genius Of Original Force LP
1982 1982 Muster-Burger LP
2023 2023 Genius Of Original Force LP
2020 2020 June 1975 LP + CD

Rezensionen

Interviews

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Musiker

1971 - 1986

Michael Kurz keyb.

Michael Kurz war Keyboarder bei Epidermis.

Reiner Neeb dr.

Reiner Neeb war Schlagzeuger bei Epidermis.

Rolf Lonz voc./ git/flute

Rolf Lonz war Sänger, Gitarrist und Flötist bei Epidermis, bei Air Und String, bei Fandango und ist heute ein Teil des Duos AR Lonz.

Wolfgang Wünsche bass

Wolfgang Wünsche war Basser bei Epidermis.

News

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