German Rock e.V. | Das Online-Archiv der Deutschen Rockmusik
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Estampie
Estampie

Biografie

Stil: Histo(Rock)

[Mit Beiträgen von: Estampie, Kurt Mitzkatis]

Bilder

2000
Foto: Stefan Braun

Konzertbericht

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Meldet Euch!

Diskografie

Jahr vonJahr bisBezeichnungArtCover
0000 Crusaders LP
0000 Ludus Danielis LP
0000 Rosas LP
0000 Stella Splendens LP
0000 Materia Mystica LP
2000 Ondas LP
2002 Fin Amor LP
2004 Signum LP

Rezensionen

Ondas (2000, Red Moon 8573-82232-2)
Ganz frisch landete "Ondas" von der Band Estampie auf meinem Schreibtisch und von dort in den Player.Das Cover läßt Mittelalter-Rock vermuten. Weit gefehlt!
Gleich das erste Stück "Reis Glorios" mit 8 Minuten Laufzeit lässt eine klare Stimme die Ballade von den glorreichen Königen vortragen. Ja es klingt mittelalterlich. Die deutsche Band singt spanisch. Friedvoll und besinnlich. Auch das "Disse Mi" erklingt wie am Hofe vorgetragen. Interessant eingesetzte Zugtrompete! Der Gesang ist hier zweistimmig. Der Heiligen Maria wird es gefallen. "Quantas Sabedes" ist ein getragenes Lied mit fast wehmütiger Stimmung. "O Fortuna" ruft mit Schellen und Trommeln. Eine markante Männerstimme besingt auf lateinisch in fast folkloristischer Weise die Crux mit dem Glück und Pech. Wenn das mein Lateinlehrer noch hören könnte. Das müsste mal im Unterricht übersetzt werden. "Estampie V" ist ein schöner kleiner besinnlicher Instrumentaltitel. Auch hier staune ich wie sich die Zugtrompete mit den anderen Instrumenten verträgt. Sehr besinnlich beginnt "Voi Ch'mate". Da es um Christus geht nehme ich an Sigrid Hausen singt ein Kirchenlied. "Nel Mio Parlar" wird von den beiden Sängerinnen sehr ziseliert vorgetragen. Beide Stimmen sind hervorragend! "Ben E Crudele" ist ein Wechselgesang der wohl zur Tanzbegleitung aufgeführt werden könnte. Sehr rhythmisch. Richtig folkloristisch wird es mit "Non Sofre Santa Maria". Ein flotter Tanz durch die Zeiten. Dazu Gesang wie von einer Trachtengruppe. Klingt fast schon neuzeitlich. "Quantos Me Creveren" hat was von La Montanara. Wechselnde Gesänge von Frauen und Männern im zeitlosen Frage-Antwort Stil. Das Album schließt mit dem wehmütigen "Aquestas Noytes", das plötzlich islamische Einflüsse (oder sollte man Maurische sagen) bekommt und vielleicht an die Verbindung zwischen Spaniern und Mauren erinnert? Ich weiß es nicht. Aber auf jeden Fall bunt.
Fazit: Diese CD bewegt sich klar im Grenzbereich. Ist das noch irgendwo Rock oder Pop? Eigentlich nein. Aber rein sakrale Musik ist es auch nicht. Estampie gibt der in Mode gekommenen Mittelalter-Ecke eine neue Farbe. Jeder der gerne das Feeling dieser Zeiten - aber ohne Staub- haben will ist hier gut aufgehoben. Subway to Sally oder In Extremo Fans liegen hier nicht richtig. Es bleibt ruhig und besinnlich. Zu diesen Klängen würde ich in einer alten Burg bei Kerzenschein gut essen. Wer das nicht kann sollte die Kopfhörer aufsetzen, das Licht runterdrehen und sich dem Fluß der Zeiten überlassen.
[Kurt Mitzkatis]

Waren die Veröffentlichungen von Michael Popps Estampie in letzter Zeit durch Konzeptalben geprägt (Crusaders, Materia Mystica), so gibt sich das Mittelalterprojekt auf seinem jüngsten Werk Ondas doch sehr songorientiert. Auch wenn hier im Bezug auf die textlichen Quellen, die allesamt aus dem 12. bis 14 Jahrhundert stammen sowie deren musikalische Umsetzung auch so etwas wie ein durchgehendes Konzept zu verfolgen ist. Estampie spannen hier wieder den Bogen vom Mittelalter bis in die Gegenwart, wo bedingt durch rasanten technischen Fortschritt und nicht aufzuhaltende industrielle Entwicklung auch die Sehnsucht nach dem Erbe längst vergangener Epochen wächst.
Wie gewohnt verzaubert auch hier wieder Sigrid Hausens wundervolle Stimme und geht mit der teils exotischen, teils mittelalterlich anmutenden Musik eine für die Band schon von jeher charakteristische Symbiose ein. Auch konnte für das schwungvolle O Fortuna ein Alexander Veljanov für das Album gewonnen werden. Musikalisch indes laufen Estampie gerade auf dem Instrumental Estampie V, wie befreit von allen Zügeln und Zwängen, zur Höchstform auf. Somit ist Ondas vielleicht auch verdaulichste Album der Band um Michael Popp, ohne welche die mittelalterliche Musik in Deutschland wahrscheinlich um einiges ärmer wäre.
[Carsten Agthe]

Dass die Verschmelzung von mittelalterlichen und neuzeitlichen Klängen in Mode gekommen ist, das ist sicherlich nichts Neues, zumal meistens historische Instrumente gemeinsam mit E-Gitarre und Schlagzeug zum Einsatz kommen. Estampie dagegen beschränken sich ausschließlich auf überlieferte Klangerzeuger wie Fiedel, Drehleier, Laute, oder Schalmei und ersinnen für diese Instrumente moderne, neue Melodien. Dass es sich bei den sechs Musikern größtenteils um studierte Musiker handelt lässt aufhorchen. Genauso wie die Tatsache, dass Sängerin Sigrid Hausen seit 1993 die Leadsängerin der Mittelalter-Pop-Formation Qntal ist. Ondas ist eine in Töne gebrachte Phantasie Über ein zu uns herübergeholtes Neuzeit-Mittelalter. Gab es die wieder aktuellen Dinge wie Endzeitstimmung, das Aufeinanderprallen verschiedenster Systeme und Kulturen doch schon vor Jahrhunderten (wenn auch in einer anderen Form). Estampie schaffen Klangwelten die mit Anspruch und Komplexität, mit Dichte und Tiefe mehr als nur ein oberflächliches Hinhören fordern. Ondas ist somit nicht nur anstrengend und entspannend zugleich, sondern auch filligran und kraftvoll in Einem. Die ton-getragene Erschaffung einer eigenen Welt, die mit geistigem Fleiße erschlossen werden will.
[Andrea Göbel]

Interviews

Telefon-Interview 05.05.2004
Transkription: Kai Rudolph

GR: = Kurt Mitzkatis für die GERMAN ROCK NEWS
MP: = Michael Popp für ESTAMPIE

GR: Michael, ihr habt eine neue Scheibe raus gebracht, Signum - über Zeit und Vergänglichkeit im Mittelalter. Kannst du uns etwas zu der Thematik sagen?
MP: Ja, dem ist voraus zu schicken, dass wir bei Estampie immer jede CD mit einem thematischen Dach beginnen. Ein Thema das sich dann über die ganze CD erstreckt. In dem Fall war es Zeit und Vergänglichkeit, was wir für eine ziemlich universelle Erfahrung betrachten, die jeder Mensch aus seinem Leben kennt. Schon in seinem persönlichen Leben erstreckt sich ja die Lebensspanne zwischen Geburt und Tod, in der sich die Zeit eben bestimmt, die er zu leben hat.
Und es geht also darüber hinaus. Das Thema Zeit ist ein Thema das sowohl im Mittelalter als auch heute von großer Bedeutung ist. Vor allem auch dieser spirituelle Begriff der Zeit, also nicht nur die messbare Zeit, was ja letztendlich nur eine Art von Konvention ist, um sich eben zu vereinbaren wann man am Tag zum Interview anruft oder nicht, sondern eine grundsätzliche Erfahrung, dass man eben nichts festhalten kann. Das man nichts rückgängig machen kann, dass Dinge einfach passieren im Zeitverlauf und unwiderruflich dann dastehen. Das ist auch in der modernen Physik ein Thema, dass man zum Beispiel eine Kaffeetasse ausschütten kann, aber dann den Kaffee aus dem Teppich nicht mehr zurückbringt in die Tasse. Also, das Wort irreversibel, in eine bestimmte Zeitrichtung gehen. Alles das sind Dinge, die das Leben der Menschen bestimmt und deswegen ist das natürlich dann auch in der Kunst und in der Musik ein Thema und wird behandelt. Das geht ja hinein bis in philosophische und religiöse Themen, wie die Zeit endet, was kommt nach dem Tod und wie endet überhaupt die Welt und wie hat es begonnen. Das ist sowohl ein religiöses als auch wissenschaftliches Thema. Kein Mensch weiß ja genau, was man im Augenblick denkt, was mit dem Urknall war. Also, diese Dinge werden auch musikalisch und künstlerisch reflektiert.

GR: Das Album ist ja auch, sagen wir mal, sakral gehalten. Es gibt öfters Stücke, die, sag ich mal, durchaus in der Kathedrale stattfinden könnten.
MP: Ja. Es ist natürlich so, dass das Thema Zeit in der Form, oder das unser Zeitbegriff natürlich auch ganz stark, ob wir wollen oder nicht, von einer Art christlichen Ideologie bestimmt ist. Nämlich das, dass eben dieser Zeitgedanke, dass es irgendwo angefangen hat, also jetzt mal ganz naiv gesagt, Gott hat die Erde erschaffen und irgendwann kommt der jüngste Tag, das Gericht, dann kommt das Ende und es kommt irgend etwas völlig anderes. Beispielsweise in buddhistischen Ländern ist das ja gedanklich völlig fremd, dass ist da alles mehr ein Kreislauf und es wiederholt sich immer wieder. Wir sind natürlich von diesen Gedanken zwar nicht mehr so direkt betroffen, aber wir denken doch auch immer in die Zukunft, denken immer dass irgend etwas in der Zukunft passiert oder passieren kann, zumindest was ein Ende sein kann, was vielleicht auch ein neuer Anfang sein kann, was vielleicht alles umwälzt was bisher gegolten hat.
Ich sag mal, zum Beispiel die ganze grüne Bewegung, also die ökologische Bewegung hat ja den Gedanken, dass sie sagen, wir können uns die Zukunft nicht verbauen. Irgendwann kommt die große Katastrophe, dann bricht alles zusammen und dem müssen wir vorbauen, da müssen wir intelligenter handeln und die Umwelt schützen usw. Alles das sind ja Dinge die in unserem Denken tief verwurzelt sind. Das ist eigentlich eine christliche Philosophie, wenn man so will. Aber es hat natürlich so weit gegriffen, dass es in unserem Alltagsleben, also auch für nichtchristliche Menschen, ich bin jetzt auch selber kein überzeugter oder kein besonders religiöser Mensch, aber für jedes Menschenleben hat das doch eine gewisse Bedeutung. Und unbewusst sozusagen folgen wir auch dieser Ideologie und glauben immer, dass irgendetwas in der Zukunft passieren wird, was möglicherweise bedrohlich sein kann und wie gesagt, ist es natürlich auch eine Ur- Erfahrung, Am Ende unseres Lebens steht immer der Tod und dem kommt keiner aus. Das ist natürlich so eine grundsätzliche Haltung, das uns wie ein bisschen das Kaninchen vor der Schlange erstarren lässt und mit einem ungewissen Ausgang im Grunde alles passieren wird.

GR: Ihr habt ja faktisch, ich glaube, gar keine modernen Geräte mit dabei. Inwieweit das eine Banjo-ähnliche ein bisschen anders ist, weiß ich nicht, aber die anderen Sachen klingen alle so, als würde man dort hineinhorchen.
MP: Ja, das ist schon die Idee. Wobei ich das ein bisschen relativieren will. Einerseits ist es richtig, dass wir nur Instrumente verwenden, die also einen Bezug zum Mittelalter haben, das sind alles akustische Instrumente. Wir verwenden keinerlei Elektronik und dergleichen, auch kein modernes Schlagzeug oder keine elektrischen Bass oder Gitarren usw. keine Synthesizer. Dazu muss man sagen, dass macht den Klang aus, der einen erinnern lässt an das Mittelalter sozusagen. Also, es klingt mittelalterlicher als manch andere Mittelalter-Band. Andererseits ist es natürlich so, dass die Mittelaltermusik so auch niemand gehört hat, keiner weiß wie es wirklich im Mittelalter geklungen hat. Insofern sind es immer neue Entwürfe und auch Phantasien darüber, über das Mittelalter die jede einzelne Band und jeder einzelne Künstler eigentlich für sich verfolgt. Wir sagen, dass unsere Musik auch durchaus modern ist. Sie ist im 21. Jahrhundert entstanden, es ist unsere Fantasie über das Mittelalter. Wir fühlen uns aber dann schon verpflichtet, das Mittelalter also nicht zu verkitschen sozusagen, also nur Elemente raus zu nehmen und dann eigentlich Rock´n´Roll zu machen, nur verziert mit einem Dudelsack, sondern wir versuchen schon nah am Geist des Mittelalters zu bleiben bzw. unsere Vorstellung vom Mittelalter ist halt ein bisschen anders als von andern Bands. Gewollt so und beabsichtigt so und das wird auch so bleiben.

GR: Dazu muss man sagen, ihr seid ja auch, wenn man so will, das Älteste überhaupt, weil ihr ja schon seit `85 dabei seid. Und ihr seid ja auch über die reale Mittelalterschiene gekommen, bevor es überhaupt Mode wurde.
MP: Ganz genau. Also, wir haben angefangen vor einem kleinen Kreis, zwar internationalen Kreis, zu spielen. Insofern ist es schön bei einem internationalen Network, wie ihr seid, ein Interview zu geben.
Damals in den 80-ziger Jahren hat sich die Mittelalter-Musik in einer sehr kleinen Szene abgespielt, die allerdings in der ganzen Welt verteilt war. Da haben wir also überall gespielt. Da gab es immer so Festivals und Treffen usw. und erst später, man kann es ziemlich genau datieren, eigentlich mit der Maueröffnung ist also das Mittelalter mit starken Impulsen aus Ostdeutschland viel populärer geworden. Dort, in Ostdeutschland war das Mittelalter bzw. die Mittelalterkultur und -musik eine Möglichkeit praktisch außerhalb der Überwachungskameras des Systems sozusagen, so ein bisschen was von Freiheit und Anarchie zu inszenieren. Das war also ideologisch unverfänglich. Deswegen hat sich da eine sehr starke Untergrundszene mit Mittelaltermusik beschäftigt, die auf Märkten usw. ein freieres Leben geführt haben, also so rum gezogen sind und in Zelten gewohnt oder auf Märkten gespielt usw. haben. Und diese Bewegung hat sich dann in den Westen übertragen und wurde dann diese Spielmannskultur, sozusagen. Von da aus ging dann eine Mittelalter-Crossover-Szene los, die jetzt im Grunde ganz Europa erfasst.

GR: Aber das muss für euch doch eine große Genugtuung sein, wenn man jetzt also sozusagen in dieser Welle mitschwimmen kann, die man ja fast praktisch mit ausgelöst hat? Und wenn ich dann so bei euch lese, Wave-Gothic-Treffen und so. Ihr tretet ja jetzt mit eurer Musik vor Leuten auf, die man vor zehn Jahren damit niemals hätte begeistern können.
MP: Das ist eine Medaille mit zwei Seiten. Einerseits ist es natürlich sehr schön, dass sich das geneigte Publikum vergrößert, sozusagen, also verschiedene Leute zum Mittelalter, wie du auch gesagt hast, stoßen, die man früher nie erreicht hätte. In den 80er Jahren war das Mittelalter, sagen wir mal, ziemlich elitär, was nicht sehr angesagt war in dieser Zeit. Da gab es mehr Zukunftsvisionen, man hat mehr an die Zukunft gedacht. Computer kamen auf. Jeder hatte so einen Computer. Elektronische Musik kam auf. Das war eher die Zeit der Kraftwerks usw. und nicht gerade der Mittelaltermusik. Jetzt ist das natürlich anders. Es hat tatsächliche einen großen Boom erlebt. Das ist einerseits schön, andererseits ist natürlich immer auch die Gefahr da, wie ich schon mal gesagt habe, dass Mittelalter verkitscht wird, vereinnahmt wird von anderen Interessen, auch kommerzielle Interessen. Es gibt Leute die also irgendwie Geschäfte machen wollen mit Mittelalterwaren und mit Mittelaltergedankengut, mit Esoterik usw., da also mit auf den Zug aufspringen und das verwässert natürlich das positive Gefühl manchmal ein bisschen. Aber insgesamt sehe ich das natürlich auch positiv, dass überhaupt eine gewisse Aufgeschlossenheit und Interesse da dies stärker geworden ist. Das sehe ich schon positiv.

GR: Ich meine, wenn man sieht zum Beispiel Leute wie Ritchie Blackmore, der dann jetzt auch nur in Mittelalter macht. Oder wenn man sieht, früher, wie du schon sagtest, die Mittelaltermärkte waren so der einzige Punkt wo so was kam und jetzt auf Festivals. Ich denke, viele von diesen Jugendlichen interessieren sich jetzt wirklich auch etwas tiefer dafür, und diese Toleranz einer derartigen Musik gegenüber, die man früher allein aus Establishment-Gründen abgelehnt hätte, weil die Eltern das gut fanden, deshalb ist das Scheiße. Das müsste doch auch ein paar Vorteile für euch auch bringen?
MP: Ja ich sehe das jetzt weniger unter, sagen wir mal, persönlichen Vor- oder Nachteilsgedanken. Tatsache ist, das hast du völlig richtig analysiert, dass sich auch da ein Bewusstseinswandel vollzogen, hat in den letzten Jahren. Also, dass das Interesse an Dingen die eben nicht an der Oberfläche liegen, nicht auf der Konsumentenebene, nicht in RTL2 und mit irgendwelchen dümmlichen Shows abgespeist werden, stärker wird. Die Leute mehr, so kann man vielleicht ein bisschen hochgestochen sagen, auf Sinnsuche sind, auf der Suche nach den eigenen Wurzeln, wer bin ich eigentlich, wo kommt das alles her. Also, das auch ein, gewisser, wie soll ich sagen, Anteil an Eskapismus da ist. Man kann quasi so ein bisschen dem Alltag entfliehen. Das bedienen dann so Fantasy-Spiele usw. in denen man dann also seine Identität verändern kann und als Hexe oder Zauberer oder Ritter oder sonst irgendwas auftreten kann. Das macht Spaß, dass sind Dinge die erst in letzter Zeit eigentlich für das Publikum interessant sind.
Früher hat man das für ziemlich doof gehalten, da im Ritterkostüm über eine Burg zu hüpfen. Jetzt ist das also ziemlich angesagt, seit einigen Jahren. Und da hat sich natürlich was verändert. Natürlich ist es richtig, profitieren wir auch in gewissem Maße von diesen Bewegungen. Allerdings versuchen wir als Estampie immer noch stärker die Hintergründe zu bearbeiten, also die Oberfläche zu vermeiden. Also, nicht jetzt Klischees zu bedienen, wie es dann häufig in so Fantasy-Gruppen stattfindet, sondern immer wieder zu reflektieren, auch letztendlich zu sehen, was ist am Mittelalter eigentlich modern, was ist neu zu verstehen und was gilt eigentlich immer noch und kommt nur in anderem Gewand daher. Das ist eigentlich der interessante Punkt, dass man eigentlich die Realität jetzt besser verstehen kann, wenn man die Vergangenheit versteht und seine Geschichte versteht. Gerade in Deutschland natürlich, durch diesen geschichtlichen Bruch der 30-iger und 40-iger Jahre war das lange Zeit tabu was in der Vergangenheit war. Da spielt natürlich auch Wagner eine Rolle, der sich auch viel mit Mittelalter beschäftigt hat, der aber dann für lange Jahrzehnte im Grunde obsolet war und man wollte überhaupt nichts mehr davon wissen. Jetzt hat sich die Situation sozusagen ideologisch wieder bereinigt und jetzt hat man wieder einen offenen Blick dafür. Dadurch gibt es wieder ein neues Feld des Interesses und auch der interessanten Erlebnisse und Erfahrungen.

GR: Für dieses Album Signum, wo grabt ihr? Das sind ja nicht alles eigene, neue Stücke. Oder?
MP: Nein, dass sind nicht alles neue Stücke. Also, wir graben natürlich in den Bibliotheken, wir kennen uns da natürlich gut aus. Es gibt ja da eine Vielzahl von Forschern, Musikologen und Musikwissenschaftlern die sich mit den Quellen beschäftigen. Also, diese Bewegung gibt es ja seit Anfang des letzten Jahrhunderts, also seit 1900 haben die Leute Quellen erschlossen und die Musik auch übertragen in die moderne Notation und gedruckt. Das kann man alles nachforschen und das machen wir jetzt schon seit einiger Zeit. Wie du es gesagt hast, es gibt uns schon fast 20 Jahren und da haben wir in der Zwischenzeit schon sehr viel gesammelt. Auch zu Hause haben wir ein großes Archiv von Musik und Lyrik das man dann immer wieder für neue Projekte verwenden kann. Es fällt uns also nicht mehr schwer, diese Dinge zu finden. Sollten wir mal einen guten Text haben, wo es keine Melodie dafür gibt und sich keine andere Melodie gut drauflegen lässt, dann erfinden wir auch neue Melodien. Aber immer im mittelalterlichen Geist. Wir haben bis jetzt noch niemanden gefunden, der bei einer CD unterscheiden konnte, was eine Originalmelodie und was eine neu komponierte Melodie ist. Das ist unser großer Ergeiz, dass es niemand unterscheiden kann. Wir treten dann als moderne Trubadure auf, die eigentlich die Mittelaltermusik dann auch weiter entwickeln und eben nicht auf dem Status Quo verharren.

GR: Ihr tretet ja auch auf und habt teilweise extra Projekte, wo ihr also mit Schauspielen und extra Konzerten in Kirchen usw. Sag mal was dazu. Also, ihr seit ja jetzt nicht nur die Mittelaltertruppe, die Festivalmäßig rum geht oder Konzerte gibt, sondern erzähl mal wie ihr es sonst noch so habt.
MP: Das sind wir eigentlich überhaupt nicht. Also, wir sind nicht so auf den Märkten usw. präsent, sondern wir suchen immer den künstlerischen Crossover auch mit anderen Künstlern. Also, mit Tanztheater - wir haben schon verschieden Projekte mit Tanztheater, mit Theater allgemein auch mit visuellen Installationen, mit Video, mit Dia, Projektionen und dergleichen.
Jetzt gerade haben wir in Düsseldorf ein Stück abgespielt, das ist nach einem Roman von Thomas Mann gelaufen. Der Erwählte heißt es. Das ist wiederum eine Adaption eines mittelalterlichen Romans Die Gregoriuslegende von Hartmann von Aue. Das wurde also vertanzt und auch Schauspiel ist da dabei, eine sehr schöne Produktion, es ist auch gut angekommen. Das ist also so eine Seite, was wir machen. Als nächstes steht wieder etwas ganz was anderes an, ein musikalisches Projekt über Marco Polo. Da spielen dann Gäste mit aus der Mongolei, aus Persien und aus Karakorum, also aus Nordindien. Wir suchen immer wieder neue Betätigungsfelder, auch um die Musik lebendig zu halten und immer wieder einen Schritt vorwärts zu machen, immer weiter zu entwickeln und ja nicht in irgendein abgehalftertes Klischee zu verfallen. Also, das wäre für uns der Tod.

GR: Ihr lebt also auch den Multi-Kulti-Gedanken, was ich sehr gut finde.
MP: Absolut. Der Multi-Kulti-Gedanke, Multi-Kulti einerseits, aber auch Multi-Künste-Gedanken. Also, das verschiedenste Dinge sich gegenseitig befruchten, die man im ersten Moment nicht zusammen bringt, zum Beispiel auch Lesungen. Wir haben auch schon Musik zu Lesungen gemacht. Also, das ist immer sehr interessant, und es ist auch für einen persönlich sehr befruchtend, immer wieder zu sehen, wie die anderen Künste … das befruchtet einen dann auch immer wieder in der Fantasie sehr. Deswegen gehen uns so schnell die Ideen nicht aus für neue Projekte.

GR: Jetzt muss ich noch mal darauf kommen, ihr seid ja jetzt nicht nur als Estampie bekannt, sondern du bist ja auch noch bei Qntal. Wie unterscheidet sich das?
MP: Ja, als Qntal und Estampie unterscheidet sich in erster Linie durch das verwendete Instrumentarium. Also, Qntal ist elektronische Musik hauptsächlich mit mittelalterlichen Einflüssen, mittelalterlichen Instrumenten, die ich spiele und die Sängerin ist die gleiche. Also, dieselbe, genauer gesagt. Das macht natürlich eine große Verwandtschaft zwischen den zwei Projekten aus. Und diese Verwandtschaft scheint nach außen hin größer, als sie in Wirklichkeit ist. Weil die Herangehensweise zu den beiden Bands völlig unterschiedlich ist. Die Musik von Qntal entsteht eher am Computer und entsteht eher über Samples, Bänke aufbauen und sich über Internet zu verständigen, weil unser dritter Mann sitzt in Berlin. Wir beide wohnen in München. Während Estampie eine richtige Proberaum-Band ist sozusagen, wo man zusammen sitzt und probt und am Instrument selber die Musik erarbeitet. Ich glaube auch, dass die Musik relativ unterschiedlich klingt, aber die Ähnlichkeit ist hauptsächlich der Gesang. Und wenn natürlich eine band mit demselben Sänger oder derselben Sängerin arbeitet, dann kommt da automatisch ein Vergleich und eine Ähnlichkeit.

GR: Könnte es sein, dass der oberflächliche Eindruck ist, dass Qntal ein wenig melodischer, glatter, ohne das negativ zu machen?
MP: Ja also es ist schon richtig. Es ist halt eingängiger, weil man einfach Mittel verwendet die dem Ohr des heutigen Menschen einfach vertrauter sind. Da kann er sich an mehr Dingen orientieren, dass kennt er. Die Art wie das Schlagzeug verwendet wird, auch dass da Bässe dabei sind, Basslinien usw. Das kann mit Original-Instrumentarium nicht hergestellt werden, da es keine Bassinstrumente gab. Insofern klingt natürlich die Musik völlig anders. Es ist auch richtig, dass die Estampie-Musik durch die mehreren, es sind ja sechs Mitwirkende meistens, oder manchmal auch noch mehr - mit Gästen -, vielschichtig ist. Da passieren viele Dinge gleichzeitig und das gibt dann insgesamt ein Klangbild, während bei Qntal oft die Strukturen wesentlich einfacher und leichter nachzuvollziehen sind. Dadurch wirkt das natürlich etwas glatter und etwas eingängiger für das Publikum. So würde ich die Sache einschätzen.

GR: Aber empfehlenswert ist ja beides! (lacht)
MP: Ja, natürlich, natürlich, natürlich!

GR: Ihr habt ja jetzt bei den 16 Stücken auch Sachen dabei, da wähnt man sich fast auf so einer Art Turnierplatz, mit Fanfaren und allem drum und dran. Wie wählt ihr das aus, was so auf eine CD drauf kommt? Weil, es ist ja einerseits ein buntes Instrumentarium, doch wenn man es hintereinander weg hört, wirkt das wie ein in sich geschlossener Film. Wie erreicht ihr das?
MP: Ja, das ist eben die große Kunst. Also, ich habe vor kurzem in einem schriftlichen Interview nach Frankreich geschrieben und da war mir ähnliche Frage gestellt. Beim Schreiben ist mir selber klar geworden, wie die Arbeitsweise eigentlich ist, damit das so wird. Man hat am Anfang das Konzept und das Konzept muss man gut verstehen. Zum Beispiel bedeutet Zeit und Vergänglichkeit im Mittelalter nicht unbedingt wie man heutzutage denken würde zur Vergänglichkeit. Das Ende von etwas ist immer was trauriges, was deprimierendes, was einen runter zieht. Das war im Mittelalter nicht so, weil durch die christliche Ideologie man auch geglaubt hat, dass das Ende der Welt, also dieser Welt, sowieso nur ein Vorspiel zum eigentlichen Leben ist. Es war auch immer die Vergänglichkeit und das Ende ein Anlass zur Freude, also zum Weitergehen, dass kann etwas Neues entstehen. Dies ist auch ein Gedanke, der wieder aktueller wird. Also, in Phasen wo Krisen sind, wo ein bestimmtes Ende von Gewohnheiten ansteht, lass uns mal über Sozialstaat oder so, gewisse Gewohnheiten werden da wahrscheinlich abgeschafft oder werden schon abgeschafft. Es muss etwas neues entstehen und man kann einerseits die Haltung vertreten „Na ja, es wird alles schlechter“, man kann aber auch sehen, dass es eine Chance zu Neuem ist, dass sich neue Strukturen entwickeln, was neues kommt, sich neue Möglichkeiten auftun. Aus diesem Gedanken, dass es einerseits das Ende, die Vergänglichkeit, das Vergehen der Zeit und was nachdenkliches, andererseits aber auch was freudiges hat. Aus dem ergeben sich dann zum Beispiel verschiedene musikalische Strukturen. Gleichzeitig ist aber wichtig, dass dieses Konzept, dann das Finden der Texte dazu, das Finden der Melodien, das Komponieren der Melodien, das Proben, das Arrangement und die Aufnahme alles miteinander in Verbindung stehen muss. Wir wollen zum Beispiel nie, dass irgendein virtuoser Spieler ein Solo von sich gibt, andererseits auch nicht das es nur ideologisch oder kirchlich stattfindet. Das gibt eben die Gesamtheit aller Elemente der Produktion, die ineinander greifen müssen und dazu gehört halt große Erfahrung. Wenn das alles ineinander greift und miteinander harmoniert, dann ergibt das eben am Schluss so eine runde Sache, dann ergibt das was, was ein eigenes Leben atmet und das ist im Grunde der Atem von Estampie.

GR: Sagen wir mal, ein Hörer, der euch noch nicht kennt, will sich die CD anhören, was wäre jetzt der beste Umstand? Setze ich mich in ein dunkles Zimmer, Kopfhörer auf, ein Glas Wein und eine Kerze - was würdest du sagen, wie wäre die optimale Vorbereitung, Vorkehrung um sich das zu Gemüte zu führen?
MP: Also ich denk mal, gute Musik hat verschiedene Möglichkeiten sich da anzunähern. Es gibt ja so genannte Gebrauchsmusik, also sagen wir mal Diskomusik, die für einen bestimmten Anlass geschaffen ist. Also ich denke, dass Estampie grundsätzlich mal Musik zum Hören ist. Also, es ist keine Tanzmusik, auch keine Unterhaltungsmusik...

GR: ...also nicht mal so im Auto nebenbei...
MP: ...das sind wohl die schlechtesten Situationen. Ansonsten natürlich, klar, ein dunkles Zimmer ist o.k. aber es ist auch mal draußen zu hören. Ich kann mir es gut vorstellen, zum Beispiel beim Spazieren gehen mit Kopfhörer in der Natur oder sonst wo. Mir sagen viele Leute, dass Estampie-Musik sehr viele Bilder im Kopf auslöst, also praktisch wie eine Filmmusik zu einem nicht gedrehten Film wirkt. Da gibt es natürlich viele Möglichkeiten, seine Phantasie anregen zu lassen. Was es aber nicht ist, es ist keine leicht konsumierbare, für nebenher hörbare Musik. Das ist Estampie garantiert nicht.

GR: Das kann ich bestätigen. Da bringst du mich auf eine der letzten Fragen. Ihr sitzt in München - Filmhochschule usw. - gab es, oder gibt es da Ideen, auch mit visuellen Umsetzungen?
MP: Es gibt immer wieder Ideen. Wir haben aber unsere Schwerpunkte in letzter Zeit eben immer am Theater gehabt, also praktisch mit Performance-artigen Dingen. Zu Film sind wir daher nie gekommen, obwohl da so ein paar Dinge angedacht waren und auch wieder sind. Es hat sich bisher noch nicht so richtig ergeben, außer bei ganz kleinen Projekten mal die Musik dazu zu machen. Aber wir sind da grundsätzlich offen und ich glaube auch, dass es gut passen würde, also dass Estampie als Filmmusik wirklich geeignet ist.

GR: Bei Qntal gibt es ja eine DVD und...
MP: Ja, ja das ist ja wieder was anderes. Also, da wird es von Estampie über dieses Marco-Polo-Projekt auch eine DVD geben, weil da schon automatisch visuelle Elemente dabei sind. Ein gewisser Bruno Baumann, der so ein ZDF-Seitenstraßenexperte ist, der schon viele Bücher darüber geschrieben hat, der macht da im Grunde so eine Art Video- und Diashow dazu. Da bietet es sich natürlich wirklich an, das zu visualisieren. Die DVD wird dann zum Teil aus Live-Konzert, zum Teil aus Musik zu diesen Bildern von Bruno Baumann sein, mit Texten von Marco Polo. Da ist das Medium DVD dann auch wirklich ausgeschöpft. Da bietet es sich wirklich an.

GR: Auf eurer Homepage sieht man ja auch ein Foto einer sich windenden, großen Mauer. Das ist so eins von diesen Bildern, denke ich mal?
MP: Ganz genau, so ist es.

GR: Nenn mir mal eure Website.
MP: www.estampie.de

GR: Dann kann man eigentlich nur wünschen, dass dieses Album sehr viele Käufer findet. Also, ich denke, jeder der sich dieser Musik widmet sollte sich darüber klar sein, dass das nicht der tanzbare In Extremo- oder sonstwas-Rhythmus, sondern Besinnlichkeit. Was wäre dein größter Wunsch für dich als Musiker, für dieses Jahr, der sich erfüllen sollte?
MP: Mein größter Wunsch bezieht sich eben auf das Marco-Polo-Projekt. Das wird eine sehr experimentelle Sache. Wir führen das zunächst einmalig auf, es wird eine DVD daraus gemacht und mein größter Wunsch ist, dass dieses Projekt genau so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Sowohl musikalisch, wie auch visuell. Das ist alles nicht so einfach, mit Mongolen zusammen zu arbeiten, die schwer zu erreichen sind in der Mongolei usw. Das ist also ein größerer organisatorischer Aufwand und ich hoffe dass da alles klappt und am Ende des Jahres eine schöne DVD daliegt. Dann hätten wir dieses Jahr eine CD raus gebracht und gleich eine DVD gemacht, dass wäre mein größter Wunsch, dass das alles so klappen wird.

GR: Ja Michael, dann hoffe ich natürlich für euch auch, dass dieses Jahr, sowie die Zukunft, erfolgreich weiter geht. Ich denke ihr habt noch genügend Ideen um noch einige CDs und Projekte zu machen, und bedanke mich für das wirklich interessante Gespräch.
MP: Ich bedanke mich auch.

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NEWS:
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TOURDATEN:
(Kann sein wir haben auch nur vergessen nachzutragen... Wenn Konzerttermine bekannt sind, ist auf   j e d e n   Fall was in der aktuellen Vereinszeitung drin.)

16.11.00 Jena Casablanka
17.11.00 Halle Turm

Kontakt

Offizielle Page: www.estampie.de

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