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Hot Summer Day Bochum 1974

Hot Summer Day Bochum 1974


HOT SUMMER DAY 1974

Bochum Ruhrwiesen an der Kemnader  Brücke - Samstag den 27. Juli 1974


Jaaa, endlich mal ein Festival, das nur einen Tag geht aber jede Menge guter Bands bietet. Wie ich schon einmal an anderer Stelle betonte, war es in den frühen Siebzigern üblich, dass die Festivals, wenn sie zwei Tage gingen samstags und sonntags stattfanden. Hier nun ergab sich die tolle Gelegenheit eine derartige Großveranstaltung, die nicht in meiner Nähe stattfand, von Anfang bis Ende zu erleben. Der Beginn war auf 11:30 Uhr festgesetzt. Ich entschloss mich alleine mit der Bahn dorthin zu fahren. Mein damaliger Wohnort Diepholz lag günstig an der Hauptstrecke ins Ruhrgebiet.

 

Noch ziemlich früh am Morgen traf ich in Bochum ein. Zum Gelände zu kommen war nicht schwierig, denn die Beschilderung und auch die Leute konnten ohne Probleme den Weg weisen. Das Areal war ganz o.k. Unglaubliche zehn Mark Tageskasse zahlte man gerne, wenn man dann auch erstaunt zur Kenntnis nehmen musste, dass die Veranstaltung im Vorverkauf nur fünf Mark kostete. Allerdings zog sich der Anfang ganz schön hin, denn die Soundchecks und wohl auch noch andere Differenzen waren noch nicht abgeschlossen – oder geklärt.  Auf dem Plakat stand schon, dass diese Veranstaltung keinen Profit machen sollte. Bei den Preisen glaubte ich das gern. Und man wartete, bis dann nach 13:00 Uhr – also mit fast zwei Stunden Verspätung die Tore aufgingen. Trotzdem: Das Wetter und das Line Up versprachen einen tollen Tag.

Als erstes erfuhren wir von den Absagen der Bands Savoy Brown und Thin Lizzy. Was solls, der Ersatz war auch nicht von schlechten Eltern, doch dazu später.

Zu Earth And Fire aus Holland kann ich nicht allzu viel sagen, Electric Mud waren wohl ganz o.k. Gerade am Anfang war ich öfters bei Konzerten noch mit der Begrüßung und dem Austausch mit Leuten beschäftigt, die so wie ich von Festival zu Festival reisten, und so gab es oft ein großes Hallo wenn man sich wieder traf. Und das geschah regelmäßig egal groß oder weit weg die Veranstaltung auch war. Dann kreiste schon mal die Lambrusco Flasche oder der Bierbecher, und auch das ein oder andere Kraut wurde gegenseitig ausgetestet. Deshalb kann ich auch die musikalische Qualität von Electric Mud nicht beschreiben, da sie mir schlicht nicht in Erinnerung blieben.

Die Preise und die Organisationen sowie die Security waren  in Ordnung und man richtete sich auf eine schöne Zeit ein.

Dann wurde plötzlich Grobschnitt angekündigt. Das war für mich und viele der angereisten eine Enttäuschung. Ich hatte sie vor wenigen Monaten auf dem Dortmunder Festival gesehen und wusste das Pyros, Masken, Licht und Klamotten ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil der Show war. Nun am späten Nachmittag bei noch relativ strahlendem Sonnenschein funktionierte nicht alles für die Zuschauer. Wo sonst Nebel, Licht und Schatten die besondere Stimmung zauberten wurde nun gnadenlos alles klar erkennbar. Noch schlimmer war das Feuerwerk. Es verpuffte absolut wirkungslos, obwohl ich mir sehr gut vorstellen konnte wie das drei bis vier Stunden später im Nachthimmel gewirkt hätte. Zu dem Auftritt und der Show selbst muss ich sagen, dass sie recht gut war. Die Besetzung mit Bär an der Bassgitarre Mist an der Orgel Eroc am Schlagzeug, Willi Wildschwein an der Rhythmusgitarre, Lupo an der Leadgitarre und El Blindo  und Toni Moff Mollo als Stagemen und Lichtgestalter war schon gut. Es wurde wie seinerzeit in Dortmund das Programm von Ballermann gespielt. Hätte doch der Veranstalter ein Einsehen gehabt und die Band ans Ende gesetzt. Nun ja.....

Eine positive Überraschung war der Auftritt von der Edgar Broughton Band. Sie waren als wilde aufsässigen nicht angepasste Burschen bekannt, die in England regelmäßige Freeconcerts gaben, und ihr Out Demons Out war schon legendär. Natürlich wurden die Dämonen auch in Bochum standesgemäß verscheucht! In jenen Tagen wurden so einige Stücke von ihnen auch regelmäßig in den Diskotheken gespielt. Ich erinnere mich da gerne an Apache Drop Out. Wenn man bedenkt, dass sie als Ersatzband engagiert waren, muss man den Organisatoren ein glückliches Händchen bei der Bandauswahl attestieren!

Nach mehreren Zugaben machten sie die Bühne frei für Livin‘ Blues aus den Niederlanden. Sie waren den Fans aus diversen Fernsehauftritten unter anderem beim Beatclub wohl bekannt, und was soll ich sagen sie passten sogar sehr gut vor Tim Hardin und Pete York, da sie den Mitmachrock im Programm hatten. Unter wenn sie schon den Blues spielten dann war es eher der Bluesrock, was auf solch einem Festival natürlich immer besser kommt als nur die ganz ruhigen Nummern. Auch sie mussten mehrere Zugaben abliefern bevor man sie von dannen ziehen ließ.

Am späten Nachmittag schienen Hardin & York. Schlagzeug und Orgel und sonst nichts. Das war damals außergewöhnlich, und man konnte sich nicht vorstellen, dass das so funktionieren würde. Doch die beiden hatten das zu Publikum ziemlich schnell im Griff und lieferten einen mitreißenden Auftritt ab. Die Reaktionen der etwa 10.000 Zuschauer waren begeistert. Heute würden so lange Stücke mit viel Drumsoli nicht mehr funktionieren...

Dann wurde es Zeit für den Headliner: Ufo. Da Savoy Brown nicht gekommen waren durften die Engländer als letzte Gruppe spielen. Wenn man den Ärger über Grobschnitt mal bei Seite lässt ging das auch in Ordnung. Zu dieser Zeit war Ufo durch vor allen Dingen ihre ersten beiden Alben bei den Rockfans als Spacerock Gruppe Kult. Und so wurde die Bühne mit wunderbar psychedelischem Licht und entsprechenden Sounds zur Startrampe in den Rockhimmel. Als dann noch die Zugabe Boogie For George hieß, gab es kein Halten mehr. Die Menge tobte.. Nach zwei weiteren Zugaben war das Festival beendet. Wie schön wäre jetzt ein Feuerwerk von einer gewissen Hagener Gruppe gewesen - aber lassen wir das.

Ich hatte viel gehört und gesehen, und so machte ich mich sehr zufrieden auf den Weg zum Bochumer Hauptbahnhof und fuhr spät nachts mit der Eisenbahn nach hause. Unterwegs traf ich noch sehr nette Leute, so dass die Rückfahrt eine reine Freude war. Ich hatte dann auch noch den Sonntag um eine Aufnahmen abzuhören und mich zu entspannen, und so konnte ich am Montag ohne große Blessuren wieder auf der Arbeit antreten.

Fazit: Es war eines der besonderen Festivals, denn es war von Anfang an deutlich geworden, dass hier nicht die schnelle Mark gemacht werden sollte, sondern wirklich Fans für Fans eine Veranstaltung organisierten, wie sie in dieser Größe auch damals schon mit starkem Risiko behaftet war. Es ist alles gut gegangen, es blieb alles friedlich, und alle anderen Umstände bis auf kleine programmatische Querelen waren gut. So waren leider nicht alle Festivals -  hier aber gab es ganz klar Daumen rauf.

Von diesem Festival habe ich folgende Mitschnitte gemacht:

Edgar Broughton Band, Grobschnitt, Hardin & York, Livin’ Blues und Ufo.

Davon ist nichts veröffentlicht, da mit wenigen Ausnahmen die Qualität eher unter dem Stichwort historisch zu sehen ist

Kurt Mitzkatis

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Der nachfolgende Bericht stammt von Ulli Engelbrecht:

www.ulli-engelbrecht.de
www.facebook.com/SamtcordStrassSoundgewitter

 

HOT SUMMER DAY 1974

Bochum Ruhrwiesen an der Kemnader  Brücke - Samstag den 27. Juli 1974 

 

Das Geheimnis der drei Sicherheitsnadeln

Es war ein heißer Monat. Und nicht nur deshalb, weil die Sonne schon seit einigen Tagen mit Kraft und voller Wonne die Stadt zum Kochen brachte. Es hatte mehr damit zu tun, dass wir heiß waren. Heiß auf Rockmusik. Heiß auf das Live-Erlebnis, das Festival, die Bands. Heiß auf Guitars, Basses, Drums, Organs, Vocals, heiß auf meterhoch gestapelte Amps, auf eine fulminante Lightshow, eine riesige P.A.-Anlage und vor allem: heiß auf das ganze Drumherum, das neben den Rocksounds - so hatten wir es wieder und wieder in den Musikzeitschriften gelesen – zusätzlich exzessive und hemmungslose Momente auch fürs Auge versprach, nämlich: ausgeflippte Fans im Alkoholrausch, nackte Mädchen im Sexrausch und tätowierte Musiker im Drogenrausch, die mit Hubschraubern zunächst eingeflogen, anschließend von Goldberingten Managerhänden abgeschirmt werden, damit sie sich in ihren Großraum-Wohnwagen in aller Ruhe vor und nach ihrem Auftritt ihren supertollen Groupies widmen können.

 

Uns hingen schon jetzt vor lauter Aufregung die Zungen aus dem Hals, als einer aus der Clique das grüne A4-Plakat, das irgendwann während des Chemieunterrichts von Tisch zu Tisch weitergereicht wurde, nochmals hochhielt. Open Air Hot Summer Day stand darauf, und das Datum, Samstag, 27. Juli 1974, und die Namen der Bands: Savoy Brown, Thin Lizzy, Ufo, Earth & Fire, Grobschnitt, Livin` Blues, Electric Mud und als Special Guest Hardin & York! Unsere pubertären Jungmänner-Fantasien schlugen Purzelbäume und wir schaukelten uns gegenseitig hoch und malten uns detailreich aus, was uns dieses Festival bieten würde: Sodom und Gomorrha. Und das stundenlang und untermalt und angetrieben von peitschenden Bluesrock-, Hardrock- und Spacerock-Sounds. Klasse!

 

In den Tourneeplänen der berühmten Rockbands spielte Bochum in den 1970er-Jahren keine Rolle. Es gab zwar die Ruhrlandhalle am Stadion, aber Rockkonzerte fanden außer einem frühen und meiner Erinnerung nach sehr schlechtem Konzert von Udo Lindenberg und seinem Panikorchester, das zu der Zeit überwiegend aus Musikern des James-Last-Orchesters bestand, dort nie statt. Berühmte Rockbands gastierten in Essen, in der Grugahalle. Unerreichbar für mich. Den Eintrittspreis hätte ich zwar ganz gut vom Taschengeld zusammensparen können. Schlimmer aber war, dass ich nach dem Konzert erst in den frühen Morgenstunden zuhause gewesen wäre. Wenn überhaupt. Ich hätte dann auch trampen müssen, da zu einer solch unchristlichen Zeit wie Mitternacht kein öffentliches Verkehrsmittel mehr gefahren wäre. Oder ich hätte bei einem Freund in Essen übernachten müssen. Ich hatte aber keinen Freund in Essen. Nur Onkel Josef und Tante Maria, die in Steele am Wasserturm wohnten. Und die waren schon sehr alt und gingen immer um neun Uhr ins Bett. Die Eltern hätten es sowieso nie erlaubt, dass ich in eine fremde Stadt fahre, nur um Rockmusik zu hören. Negermusik sei das schließlich, Hottentotten-Krach. Guck dir doch nur mal an, wie die schon aussehen. Diese langen, fettigen Haare, diese wirren Blicke. Die sind doch ganz klar verrückt. Und dabei fuchtelte meine Mutter eines Tages mit dem Meddle-Cover von Pink Floyd herum, als könnte sie die Musiker aus dem Bild des Innencovers herausschütteln, um sie anschließend mit dem Kehrbesen aufzufegen und in die Mülltonne zu kippen.

 

Das angekündigte Festival war somit der absolute Hammer. Und wer von diesen Namen nicht elektrisiert wurde, der hatte von guter Rockmusik wirklich keine Ahnung. Schließlich waren das alles berühmte Rockbands, über die man europaweit, ja sogar weltweit sprach, und sie kamen nun alle auf einmal nach Bochum und versprachen ein auf- und anregendes Woodstock-Feeling in den harmlosen Ruhrwiesen unterhalb der Kemnader Brücke, neben dem Leinpfad, der an der Ruhr entlangführt, auf dem man sonst nur zwangsweise Sonntagsspaziergänge mit Eltern und Verwandten unternahm. Beginn: 11.30 Uhr. Eintritt: 5 Mark im Vorverkauf, 10 Mark an der Tageskasse. Es war eine gute Anfangszeit, es war ein erschwinglicher Preis, es war quasi vor der Haustür und bis Mitternacht war man sicherlich wieder zurück – da musste man die Eltern nicht groß um Erlaubnis fragen.

 

Es blieben noch zwei Tage und eine Klassenarbeit Zeit und wir überlegten, was man für diesen außergewöhnlichen Tag benötigen würde. Was zum Essen, ein paar Stullen, was zum Trinken, Bier im Sechserpack, soviel wie in den Rucksäcken hineinpassten, klar. Knabberzeugs auch, Tabak, Kapuzen-Anorak, Pulli, Decken. Auch klar. Am Freitag, In der großen Pause, erzählten wir uns nochmal das, was wir über die Bands wussten: Grobschnitt, die bunt kostümierten verrückten Musiker aus Hagen, spielen mit Sicherheit ihr ellenlanges Solar Music. Wenn nicht sogar die komplette LP Ballermann. Bei Thin Lizzy, mit Gary Moore und Phil Lynott, wird`s richtig laut. Der Song I`m A Rocker klingelte noch im Ohr, wegen des treibenden Bassspiels und der scharf gespielten Gitarre. Der Hit vom vergangenen Jahr, Whiskey In The Jar, galt nicht als Maßstab, denn das war so`n verrocktes Folkstück, Mädchenmusik. Earth & Fire aus Holland mit Mellotron, der schnuckeligen Sängerin Jerney und dem Hit Memories im Gepäck spielten eine ganz spezielle Rockmixtur. Savoy Brown mit Kim Simmonds und Stan Webb galten als spitzenmäßige Liveband, als LP-Band und als Rock-Legende. Also: Als etwas ganz Besonderes. Hardin & York gehörten einst zur Spencer Davis Group, die mit Keep On Running einen Riesenhit eingespielt hatte. Als Duo rockten Eddie und Pete seit einiger Zeit erfolgreich durch Europa und tauchten immer in den Pop-Polls der Musikblätter auf. Und schließlich YOU-EFF-OHH – Ufo – britisch und beinhart. Seitdem der erst 19jährige Michael Schenker – der jüngere Bruder des Scorpions-Gitarristen Rudolf - den Gitarrenjob übernommen hatte und aus dem wummerig-holpernden Boogierock genussvolle Hardrockhäppchen zauberte, galt die Band als Abräumer-Band und Michael war ihr Superstar. Doctor, Doctor stammte aus seiner Feder und war der ganz große Hit dieser neuen Besetzung. Livin` Blues und Electric Mud kannten wir nur dem Namen nach und wir wussten, dass sie ständig auf Festivals spielten.

 

Am Samstagmorgen um halb acht traf sich unsere Clique am Bahnhof und wir fuhren mit dem Bus die Königsallee herunter in den grünen Bochumer Süden, nach Stiepel, oberhalb der Ruhr. Das Festival fand ganz in der Nähe von Haus Kemnade statt, dem kleinen Wasserschloss. Das Wiesenareal war bereits proppenvoll, als wir uns um 9 Uhr einen Weg Richtung Bühne bahnten. Zigtausend Leute. Jungen und Mädchen mit langen Haaren, kurzen Haaren, krausen Haaren, Stirnbändern, Felljacken, Jeansjacken, Jeanshosen, Karohemden. Einige hatten Gitarren dabei und Bongos, andere trugen Sonnenbrillen, lagen ausgestreckt auf dem Boden, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sie standen, sie hockten, sie quatschten, sie rauchten, sie spielten Autoquartett - sie warteten. Wir fanden einen Platz, nur rund fünf Reihen von der Bühne entfernt. Ich holte ein Bier aus der Tasche, jeder trank einen Schluck, dann wünschten wir uns gegenseitig einen heißen Tag, blendeten den Schulalltag aus, waren nur noch Fans und fühlten uns augenblicklich pudelwohl in dieser vibrierenden Atmosphäre aus „Test-Test-Test“-Durchsagen von der Bühne, versprengten Melodiefetzen der klimpernden Jungs in unserer unmittelbarer Nähe und dem ab und an aufflackernden hellen Lachen der drei Mädchen hinter uns, von denen jede eine Weinflasche neben sich stehen hatte. Wir waren bereit, wir waren gut drauf, nun konnte es losgehen.

 

Es war unser erstes Festival, wir wurden musikalisch natürlich bestens bedient und wir lernten an diesem Tag: dass es bei einer Party im Weitmarer Jugendheim heftiger und triebhafter zur Sache geht, als bei einem Rockfestival mit rund 10000 Menschen; dass man sehr viel Geduld haben muss, wenn der Beginn um zwei Stunden verschoben wird und dir während dieser Zeit Patschuli- und Van-Nelle-Tabak-Düfte den Magen umdrehen; dass die einzige Droge, die einen berauscht, Musik heißt; dass man sich nicht ärgern darf, wenn Topbands, wie Savoy Brown und Thin Lizzy, gar nicht anwesend sind; dass man sich ganz schön langweilen kann, wenn als Ersatz eine Band spielt, die man nicht kennt, wie die Edgar-Broughton-Band; dass Licht- und Pyroeffekte an einem sonnendurchwirkten Nachmittag keinerlei Wirkung haben, wie bei Grobschnitt; oder – und das war mein ganz persönliches Erlebnis – dass fehlende Klos Erkenntnisse der prägenden Art zulassen.

 

Nachdem Grobschnitt, die Edgar-Broughton-Band, Livin` Blues und Ufo ihr Set beendet hatten und es erneut zu einer längeren Umbaupause kam, machten wir uns auf die Socken, um wenigstens von den dekadenten Ausschweifungen hinter der Bühne etwas zu erhaschen. Doch zu unserer Überraschung gab`s hier weder Hubschrauber noch Manager, auch keine Groupies oder Drogenexzesse. Im Gegenteil, es ging sehr arbeitsam und troubelig zu zwischen den Bussen, Transportern, Künstlerzelten und der Bühne. Die Musiker fassten zum Teil selbst mit an, halfen den Roadies Amps und Requisitenkisten von den Ladeflächen herunter zu laden oder sie rollten Drum-Cases und Stative über die Wiese oder sie standen bereits auf der Bühne und verlegten Kabel für die Verstärker oder sie stimmten die Instrumente für die nachfolgende Band. Ufo-Gitarrist Michael Schenker lehnte lässig vor dem Bedford Blitz seiner Band, schrieb gut gelaunt Autogramme, und er trug überhaupt keine Hippie-Klamotten, sondern sah völlig unspektakulär aus. Michael sah nämlich so aus wie wir. Sogar mit dem ein oder anderen Pickel im Gesicht. Gut, dafür waren seine mittelgescheitelten blonden Haare schon sehr, sehr lang und reichten bis zu den Achselhöhlen, und die verwaschene Jeans saß sehr, sehr knapp. Da schmerzten einem schon beim Hingucken die Eier.

 

Ich ging ein paar Schritte weiter Richtung Ruhr, zum Pinkeln. Plötzlich stand Ufo-Sänger Phil Mogg neben mir, hielt ebenfalls seinen Schwanz in den Wind, fragte mich, ob mir die Show gefallen hätte. Verdattert stotterte ich irgendwas von: „fantastic, yeah, great songs.“ Er grinste und nickte, zwängte seinen Schwanz zurück in die Jeans und – kein Knopf, kein Reißverschluss, nein: er verschloss den Schlitz mit drei Sicherheitsnadeln, drehte sich um, und verschwand in seinem Zelt.

 

Während die anderen noch darüber redeten, ob es wohl an Bochum liegt, und man eben deswegen keine ausschweifenden Szenen erleben würde, anders als bei den berühmten europäischen Festivals in den berühmten Großstädten mit noch berühmteren Rockbands, sinnierte ich über die Gelassenheit, mit der Mr. Mogg die Nadeln einhakte, so als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. Dieses Erlebnis beeindruckte mich aus dem Stand und ich glaube auch heute noch, dass mir dieser Moment mehr über die rebellische Natur der Rockmusik verriet, als alles das, was ich bisher darüber gelesen hatte.

 

Romantiker waren in unserer Clique verpönt, und vielleicht ist das der Grund, weshalb ich diese Episode nie jemandem erzählt habe.

 

Ulli Engelbrecht


000 Plakat

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Edgar Broughton Band auf dem Hot Summers Day In Bochum 1974 Foto: Ulli Engelbrecht

Edgar Broughton Band auf dem Hot Summers Day In Bochum 1974  Foto: Ulli Engelbrecht

Eintrittskarte

Eintrittskarte

Grobschnitt auf dem Hot Summers Day In Bochum 1974 Foto: Ulli Engelbrecht

Grobschnitt auf dem Hot Summers Day In Bochum 1974  Foto: Ulli Engelbrecht Grobschnitt auf dem Hot Summers Day In Bochum 1974  Foto: Ulli Engelbrecht

Impressionen vom Hot Summer Day am 27.07.1974 in Bochum Foto: Kurt Mitzkatis

Impressionen vom Hot Summer Day am 27.07.1974 in Bochum  Foto: Kurt MitzkatisImpressionen vom Hot Summer Day am 27.07.1974 in Bochum  Foto: Kurt Mitzkatis

Impressionen vom Hot Summer Day am 27.07.1974 in Bochum hier bei Grobschnitt Foto: Kurt Mitzkatis

Impressionen vom Hot Summer Day am 27.07.1974 in Bochum hier bei Grobschnitt  Foto: Kurt Mitzkatis

Impressionen vom Hot Summers Day In Bochum 1974 Foto: Ulli Engelbrecht

Impressionen vom Hot Summers Day In Bochum 1974  Foto: Ulli Engelbrecht Impressionen vom Hot Summers Day In Bochum 1974  Foto: Ulli Engelbrecht

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